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Mitteldeutschland - Hermann Goern

Das Moseltal und der Hunsrück

Koblenz, an der Mündung der Mosel in Deutschlands Schicksalsstrom, ist erst nach der Niederlegung der Festungswälle 1890 zur wirklichen Stadt am Rhein geworden. Denn bis dahin war sie mit ihrer der Mosel zugewandten prachtvollen mittelalterlichen Schauseite eine ausgesprochene Moselstadt. Dort, wo heute noch die ehrwürdige Brücke des Erzbischofs Balduin aus dem 14. Jahrhundert - mit 14 Bogen auf wuchtigen Basaltpfeilern ein technisches Wunderwerk für die damalige Zeit - den Verkehr nach Köln hinunter und nach Trier hinauf leitet, hatte Drusus das Kastell "ad confluentes" am Zusammenfluß gegründet, von dem die Stadt ihren Namen behalten hat. Nachdem die Germanen drüben am Taunus die Sperrmauer des Limes überrannt hatten, wurde Confluentes zur starken Grenzfeste des römischen Reiches ausgebaut. Dann hielten fränkische Könige hier Hof, und seit 1008 war es die zweite Residenz des Trierer Erzbistums. Glanz der Hofhaltungen, bürgerlicher Wohlstand und das Elend vieler Kriege haben einander abgelöst und einer der ältesten deutschen Städte ihren Reichtum an baulichen Schönheiten und geschichtlichen Erinnerungen gegeben. Was das Schicksal auch über die Stadt verhängte - der Anblick der Moselfront mit den drei mächtigen Türmepaaren dahinter ist der Beweis ihrer Unbesiegbarkeit.

Am Brückenkopf steht auf römischen Grundmauern mit den beiden trutzigen Rundtürmen die Bischofsburg aus dem 13. Jahrhundert, und dicht dabei spricht das prächtige Kauf- und Tanzhaus von der wirtschaftlichen Blütezeit der Stadt im Mittelalter. Im Schöffenhaus, einem Prunkstück spätgotischer Baukunst, wurde der Spruch gefällt über die unten im Keller Gefolterten, und auf dem Florinsmarkt davor waltete der Henker seines Amtes. Drohend wuchten die Türme von St. Florin über den Platz. Um die Liebfrauenkirche herum, der Begräbnisstätte der Patrizier, mit ihrer schöngegliederten roma- [654] nischen Fassade, sind im Bereich der ältesten Stadtanlage die schönsten Bürgerhäuser der Stadt zu finden. Hochragend mit gotischem Zinnenkranz oder mit prächtigen geschweiften Fachwerkgiebeln und Schiefertürmchen über Erkern. Die "Vier Türme", die Ecken einer Straßenkreuzung beherrschend, ist die schönste Gruppe solcher Bauten aus dem Wiederaufbau nach der Verwüstung von 1688. Diese breiten Giebel mit ihren geschnitzten Umrahmungen und die geschieferten barocken Turmhauben haben das ganze Moseltal bis Trier hinauf viel Nachahmung gefunden. Dem Reichtum der Schauseiten steht das Innere nicht nach, wo sich die Wohlhabenheit bürgerlicher Wohnkultur oft bis zu fürstlicher Pracht steigert, wie im Saal des Knödgenschen Hauses oder dem Vestibül des Hauses Clemens mit dem festlichen Schwung seiner Treppe. Auf weiträumigem Platz steht das berühmteste und stolzeste Bauwerk der Stadt, die Kirche des Hl. Kastor aus dem 12. Jahrhundert. Das Türmepaar mit der Eingangshalle ist der Stadt zugekehrt, während der Chorbau mit der mächtigen galeriegeschmückten Apsis zwischen den schlanken Kristallen zweier Türme durch Parkbäume über den Rhein zum Ehrenbreitstein schaut. Der Weihe des ersten, von den Normannen zerstörten Baues wohnte Kaiser Ludwig der Fromme bei, und 842 berieten hier seine Söhne die Teilung des Reiches Karls des Großen, die im schicksalhaften Vertrag von Verdun besiegelt wurde.

Dem Strom entgegen führen die schattigen Uferanlagen an der Schiffbrücke vorüber zum kurfürstlichen Residenzschloß, das Klemens Wenzeslaus gegen Ende des 18. Jahrhunderts fortschrittlich im kühlen Klassizismus des "Louis XVI." errichten ließ. Nur im Innern glühen als letztes Fanal des sinkenden Rokoko im Rheinland die beiden Deckengemälde des Januarius Zick. Auch die breitgelagerte Schauseite dieses Schlosses mit der riesigen Säulenstellung in der Mitte und dem weiträumigen, Abstand gebietenden französischen Gartenplan davor ist der großzügig angelegten neuen Klemensstadt zugekehrt und zeigt damit deutlich, daß Koblenz sich auch unter dem letzten Kurfürsten noch nicht als Stadt am Rhein empfand. Entscheidend für den Kurstaat war die Mosel und mit ihr der Weg nach Trier. Die Rheinfront erhielt erst durch die Anlegestellen der Köln–Düsseldorfer und Niederländer Dampfer im 19. Jahrhundert ihre heutige Bedeutung, der die monumentalen Regierungsgebäude und nicht zuletzt der Stufenbau des stromumspülten Deutschen Ecks mit dem 1897 von der Rheinprovinz errichteten Reiterdenkmal Kaiser Wilhelms I. sinnvollen Ausdruck verleihen.

Die Wirkung dieses Uferbildes wird noch gesteigert durch die Felsenterrassen des Ehrenbreitstein. Zu ihren Füßen am Ufer des Rheines dehnte sich einst die breite Front des kurfürstlichen Barockschlosses, das seit 1818 den Anlagen der preußischen Festung weichen mußte. Von der Pracht dieser kurtrierischen Residenz, der unter der Herrschaft des fränkischen Geschlechtes der Schönborn Balthasar Neumann die höchste Weihe gab, ist trotz des Wandels der Zeiten noch genug Erlesenes übriggeblieben, von dem besonders der Portalbau am Marstall von Joh. Seiz mit dem über wogendem Gesims aufbäumenden Roß zur Bewunderung fränkischen Spätbarocks am Rhein aufruft. Unvergeßlich [655] aber ist die Aussicht oben von den Bastionen, wo der Blick das Rheintal von Stolzenfels bis Andernach mit der gesamten Vordereifel und den Hunsrückbergen umfängt. Schmucke Dampfer gehen und kommen, lange Schleppzüge keuchen stromauf an der großen Insel Niederwerth vorüber, deren Fruchtgefilde im schimmernden Schnee der Obstblüte verschüttet liegen, und auf kühner Brücke jagen die Fernzüge über den Rhein, hinüber zur alten Weinstadt, die ihre stolzen Türme in den Wellen zweier Ströme spiegelt.

Unmittelbar an die Stadt heran reichen die letzten Ausläufer des Hunsrück, jenes Berglandes, das von Rhein, Mosel, Saar und Nahe umgrenzt wird und den südlichsten Teil des Rheinischen Schiefergebirges bildet, das sich jenseits des Rheines als Taunus fortsetzt. So eng beide Gebirge auch nach der Art ihrer Entstehung miteinander verwandt sind, so verschieden sind ihre Landschaftsbilder. Der Lieblichkeit des Taunus steht die Unwirtlichkeit des Hunsrück gegenüber, und wo jener seine Berge in einer einzigen Kette aneinanderreiht, richtet der Hunsrück die Wasserscheide zwischen Mosel und Nahe in vier selbständigen Zügen auf, die als Errwald, Hochwald, Idarwald und Soonwald von Südwesten nach Nordosten ausgerichtet sind.

Mit dem Sammelnamen Hunsrück wird aber vorzugsweise jener Winkel zwischen Rhein und Mosel belegt, der eine nach Nordwesten geneigte durchschnittlich 500 Meter hohe hügelige Schiefer-Hochfläche mit schroffem Abfall zur Mosel darstellt. Die zahlreichen tiefeingeschnittenen und vielgewundenen Bachtäler mit ihren dichten Laubwäldern sind von außerordentlicher landschaftlicher Schönheit. Oft sperren Burghügel die unwegsamen Schluchten, in denen die Wildwasser schäumen. Einsame Waldmühlen wie ein Märchen aus alter Zeit sind auf Stunden das einzige Zeichen menschlichen Daseins. Die wilde Ursprünglichkeit des Beybachtales mit dem Blick von der mächtigen Ruine Waldeck über die rauschenden Gründe hinweg gehört zu den stärksten Eindrücken dieses wenig besuchten Gebietes. Auf der Hochfläche selbst haben bescheidene dörfliche Siedlungen mit weißgekalkten Häusern unter blauen Schieferdächern den Wald bis auf verstreute Inseln zurückgedrängt. Dazwischen Heide-Einsamkeit mit Wacholdern und zerzausten Kieferngruppen. Wie hart der Kampf ums Dasein mit Stürmen und langen schneereichen Wintern auf diesem kargen Boden ist, sieht man den rauhen und kantigen Menschen an. Bezeichnend ist ein grimmiges Wort, das ihnen nachgesagt wird: "Wenn uns Herrgott sunst neiht kann als datt, dann sollen de Deiwel huule." Die Not hat im 18. Jahrhundert viele nach Übersee auswandern lassen, und noch heute gehen die Männer im Sommer weit weg zur Arbeit in die Industriegebiete.

An der Wasserscheide entlang läuft der uralte Höhenweg von der Trierer Talweite zum Rhein mit Straßensiedlungen und den für die Gegend eigentümlichen Einzelhöfen in den Quellmulden. Dort wo die Hunsrückbahn über Hermeskeil nach Simmern führt und von da nach Boppard oder zum Nahetal nach Bingen abzweigt, da war zur Römerzeit ein regerer Verkehr als heute, und Funde aus Grabhügeln bei Hermeskeil zeugen sogar von der Besiedlung dieses Gebietes schon in der späten Hallstattzeit. Als aber unter den Vor- [656] stößen der Germanen die Macht Roms zerbrach, verödete die Landschaft. Der Wald breitete sich wieder über die verlassen Wohnstätten - die durch römische Baureste mitten in den Wäldern des Hochwaldes bezeugt sind - und erst das frühe Mittelalter hat mit neuen Rodungen die Grundlagen des heutigen Siedlungsbildes geschaffen.

Aus der Einförmigkeit der Schieferlandschaft ragen im Süden die langgezogenen Bergrücken der obengenannten Quarzitkämme hervor - mit tageweiten Forsten und den riesigen Tafeln der Gipfelfelsen als abenteuerliche Naturdenkmäler. Über den fast waagerechten durchweg über 700 Meter hohen Kammlinien des Hoch- und Idarwaldes, die ohne jeden Querdurchbruch verlaufen, gewähren die höchsten Erhebungen des Erbeskopfes (816 Meter) und des Idarkopfes (743 Meter) eine weitgreifende Aussicht. In dem noch heute unbesiedelten Waldland bieten die auf der Linie Hermeskeil–Rhaunen wie zu einer Grenzsperre angeordneten Ringwälle des Hochwaldes bezüglich ihrer zeitlichen Ansetzung der Forschung noch ungelöste Rätsel. Vermutlich handelt es sich um Fliehburgen aus verschiedenen, bis in die Vorgeschichte reichenden Zeiten, deren Kernstück, der riesige Steinwall bei Otzenhausen, eine Fläche von über 18 Hektar umschließt.

Die Gewerbetätigkeit im waldreichen Quarzitgebiet wird von der Holzverwertung - Faßbinderei und Gerberei - bestimmt. Der im 18. Jahrhundert blühende Bergbau auf Eisen, Silber, Blei und Kupfer ist heute fast bedeutungslos geworden. Doch hat sich auf dem im Quarzit vorkommenden Achat in Idar-Oberstein eine weltbekannte Edelsteinschleiferei aufgebaut. Schon im 15. Jahrhundert waren im Birkenfelder Land zahlreiche Schleifmühlen im Gange, die den heimischen Achat und Jaspis verarbeiteten. Als dann die Funde nachließen, wurden Rohsteine aus Übersee eingeführt, die heute zusammen mit synthetischen Edelsteinen in fabrikmäßigen Betrieben kunstvoll geschliffen werden und die Haupteinnahmequelle für die Bevölkerung bilden.

So bekannt das gewaltige Stromtal des Rheines ist, dessen Städte, Dörfer und Burgen - gesehen oder ungesehen - doch alle vertrauter und stolzer Besitz eines jeden Deutschen sind - so unbekannt ist sein schönster Nebenfluß: die Mosel. Zwar die Weinlagen ihrer Uferberge, die lange Reihe verheißungsvoller Namen sind nicht minder berühmt als die des mächtigeren Stromes, aber wer verbindet mit ihnen das lebendigfarbige Bild der Landschaft ihres Wachstumsortes? Daß viele so wohlbewandert in der Weinkarte und so unbewandert in der Landkarte des Gebietes sind, hat seinen Grund nicht zuletzt in der Abseitigkeit des stillen Tales, an dem der große Verkehr vorüberrauscht. Eine Moselfahrt mit oder ohne Liebeskummer gehört daher trotz Bindings feinem Büchlein noch immer zu den Entdeckungsreisen in fast unbekanntes Deutschland. Vom Wasgenwald durch Lothringen herkommend, über Epinal, Toul und Metz, ist die "lotharingische Jungfrau" nur zur Hälfte deutscher Fluß, und seine letzte Wegstrecke von Trier bis Koblenz trägt noch genug Zeichen ihrer südlicheren Herkunft, um sie durch eine leise Fremdartigkeit noch anziehender [657] zu machen. Worin sie besteht, ist schwer zu sagen. Freilich muß man das sehr milde Klima des Tales hier nennen, ohne das die Haine üppiger Nußbäume sich nicht so schön entfalten könnten, das sogar die verwöhnten Edelkastanien ihre Früchte zur Reife bringen läßt und der Rebe so gut bekommt. Auch die freundlich hellen Dörfer mit den weißstrahlenden schmucken Kirchen und den Oleandern vor den Häusern gehören dazu. Aber das Fremdartige wird eigentlich damit noch nicht getroffen. Es schwebt ungreifbar darüber wie ein zarter Duft, der zugleich ein farbiges Leuchten ist unter dem ungetrübten Blau des Himmels sommerlicher Tage. Und dann kommt dazu die Stille der Landschaft wie der Menschen, die am eindrucksvollsten ist, wenn man vom Rhein herauf sich das vielgewundene Tal erwandert. Denn nichts hebt die Andersartigkeit der Mosel deutlicher hervor als der Vergleich mit dem Rhein. Wo seine drängenden Wassermassen seit altersher ständig wachsendem Verkehr zwischen Alpenland und Meer unterworfen sind und nicht genug damit auf beiden Uferseiten noch Bahnen und Autos jagen und den Strom zur Völkerstraße machen, da ist die Mosel dank ihrer zahllosen umständlichen Windungen, die die 100 Kilometer Luftlinie von Trier bis Koblenz zu 190 Kilometer tatsächlicher Flußstrecke verdoppeln, unberührtes Gebiet geblieben. So konnte es sich seine liebliche Eigenart in unverfälschter und ungestörter Ursprünglichkeit ohne die Rauchfahnen der Industrie, ohne das Hämmern und Kreischen der Maschinen bewahren, und was der erste bewundernde Sänger ihrer Schönheit, der römische Prinzenerzieher Ausonius am Kaiserhof in Trier, in seinem Gedicht Mosella um 365 am Gau der Treverer zu preisen fand, das umwirbt auch heute noch den Wanderer mit schmeichelnden Reizen und durchsonnt die dort verbrachten Tage zu einem Feste dieser Landschaft.

Von Koblenz bis Kochem hinauf kann man noch glauben am Rhein zu sein. Breit und einladend öffnet sich das Tal und bezieht die Seitentäler von Eifel und Hunsrück mit in die frohe Gartenlandschaft ein. Auch die Menschen sind fröhlich und gesprächig wie am Rhein. Vor allem aber ist dieser Abschnitt das Tal der Burgen. Über jedem Ort tragen die beherrschenden Höhen ihre Zackenkronen. Über Kobern hinter dem ausgedehnten Winninger Weingebiet sind es gleich zwei. Die schönste Belohnung aber dort für den Anstieg auf steilem Felsengrate entlang der Kreuzwegstationen ist die Matthiaskapelle, in der einst das Haupt des Apostels bewahrt worden sein soll. Auf luftiger Höhe mit herrlichem Rundblick über das Tal und die Hunsrückberge ist diese Kirche über sechseckigem Grundriß ein Kleinod staufischer Baukunst, dem selbst im Rheinland kaum Gleiches zur Seite gestellt werden kann. Von den Wellen des Flusses bespült, bietet in Gondorf die riesige Burganlage des alten Geschlechtes v. d. Leyen mit

Burg Eltz, Mosel.
[693]      Burg Eltz (Mosel).
Türmen, Zinnen und Erkern auf schroffen Mauern ein stolzes Bild wehrhaften Mittelalters in seltener Geschlossenheit. Bei Alken steigen die Nebenhänge zur Burg Thurandt hinan, uneinnehmbar trotzt Burg Bischofsstein, über einer wilden Klamm der Hunsrückwälder wuchtet die gewaltige Ruine der Ehrenburg bei Brodenbach, und die berühmteste von allen ist Burg Eltz, dicht bei Moselkern in einem verschwiegenen [658] Tälchen der Eifel. Immer wieder unerwartet durch ihr plötzliches Dasein hoch über den Waldbergen ragt von allen deutschen Burgen die kühnste und stolzeste wie ein Kristall mit vielen scharf geschliffenen Kanten. Was der schmale Felsrücken an Ausdehnung versagte, mußte durch das Übereinander von sieben Stockwerken ersetzt werden. An Carden vorbei mit seiner romanischen Kastorkirche, dem monumentalsten Bau zwischen Koblenz und Trier, zieht schon von weither Kochem mit der Trierer Bischofsburg auf schroffem Kegel den Blick zu sich. Haus über Haus den steilen Berg hinan ist das Städtchen geklettert und hat sogar noch Raum für einen Marktplatz mit Brunnen gefunden. Enge Gassen und Treppen zwängen sich zwischen dem Häusergewirr mit seinen Fachwerkseiten und stumpfblauen Schieferdächern hindurch. Ein reizvolles Durcheinander, das seine Beliebtheit als Wochenendort durch die lange Reihe der Gasthöfe unten am Ufer bekundet. Wer auf ihren Terrassen den milden Frieden eines Sonnentages genießt, ahnt kaum, wie heiß umstritten jeder Fußbreit Boden hier war, als die Brandscharen Ludwigs XIV. 1687 die Stadt eroberten.

Hinter Kochem erst, wo die Berge dicht an den Fluß herantreten, beginnt die eigentliche Mosellandschaft mit dem Gebiet des "Großen Krampens", der größten in sich selbst wieder oft geschwungenen Schleife des gesamten Tales. Der Kaiser-Wilhelm-Tunnel zwischen Kochem und Neef kürzt zwar den weiten Umweg auf wenige Kilometer. Aber gerade dieser Umweg, den keine Bahnlinie, nur eine Uferstraße begleitet, birgt in seiner verwunschenen Stille eine Fülle unerwarteter Schönheiten, die aus diesem abgeschiedenen Winkel nicht so bald wieder herausfinden lassen. Von hier an kann man nach der Weinkarte wandern. Dort von den Hängen kommt der berühmte Valwigsberger, und daneben werden die Lagen von Bruttig gepflegt. Einst hat ein armer Junge aus dem engen Tal den Weg in die weite neue Welt des Humanismus gefunden. Das war Petrus Mosellanus, das vierzehnte Kind eines Winzers. Der Freund des Erasmus von Rotterdam ist er geworden und schließlich der berühmte Rektor der Leipziger Universität.

Von den wie zu Bühnenbildern aufgestellten romantischen Nestern ist Beilstein das überwältigendste. Sein Stadtbild scheint aus dem Merian herausgenommen zu sein. So unverfälscht hat es sich sein Mittelalter erhalten, daß man hier verwundert aufschrickt, wenn vom anderen Ufer herüber ein Autoruf die Gegenwart bezeugt. Heiter schaut dieses Mittagsmärchen sein Spiegelbild im klaren Wasser. Düster freilich steht dann drinnen das burghafte Zehnthaus mit seinen unverputzten Mauern aus geschichtetem Schiefer, mit seinen über eine Gassenschlucht hinweggespannten Schwibbogen. Überhaupt diese engen, dumpfen Stollen der Gassen, deren Felsenstufen an dunklen Torgängen vorüberführen, wo Fässer hergerichtet werden und aus der Höhle eines Kellers mit dem schwachen Schein einer Kerze Weinduft heraufdringt! Noch geheimnisvoller wird dieses Stück Mittelalter dann, wenn man erfährt, daß die verfolgten Juden hier einst Zuflucht mit besonderen Schutzrechten fanden. Teuer genug freilich erkauft und ein einträgliches Geschäft für die ritterlichen Herren oben in der Burg.

[659] Brücken gibt es im Krampen nicht, wie sie überhaupt an der Mosel selten sind. Dafür gleiten die breiten Fährboote der Ponten lautlos über den grünen Strom unermüdlich zwischen den Ufern hin und her und sind oft der einzige Zugang zu den kleinen Ortschaften, die dort Fuß gefaßt haben, wo eine Lücke zwischen den Bergen Raum gibt für das Gewürfel der Häuser um das Kirchlein mit dem Friedhof darum. Die Strömung des Flusses ist an den großen Schleifen kaum zu spüren. In der zitternden Hitze steht sein Wasser still wie ein See. Verdoppelt strahlt die Glut zurück von den Weinhängen bei Ediger, wo die weiß leuchtende Kirche sich auf den alten Wehrgang stützt. Herrlich kühl ist es in dem schönen Raum, dessen reiche Sterngewölbe auf zwei schlanken Säulen ruhen. Eine bauliche Eigentümlichkeit voll großem Reiz, der man im Moseltal öfter begegnet. Der mild lächelnden Madonnenfigur hat man die ersten reifen Trauben des Jahres in die Hände gelegt. Uralter Opferbrauch erneuert sich in kindlich frommer Dankbarkeit.

Aldegund, wie der Anfang einer alten Mollweise fügt sich der Wohlklang dieses Namens, und der Anblick des in die Reben geschmiegten Städtchens mit den sauber gekalkten Häusern unter dunklen Schieferdächern, mit den vielen bunten Blumenstöcken vor den kleinen Fenstern, erfüllt alle Erwartungen. Der Wein, der im Keller jedes Hauses gepflegt wird, hat eine lustige Spritzigkeit wie tanzende Sonnenstrahlen. Lächelnd trinkt man ihn und summt dabei die leise Melodie dieses schönsten Namens im Moseltale. Andere, meist einsilbige Namen wie Alf, Reil, Cröv, Kaimt, Bremm oder Neef klingen spröde, fremdartig und sind Erinnerungen an die keltische Urbevölkerung, die von den Germanen nach Süden gedrängt, im ersten vorchristlichen Jahrtausend die Moselgaue besiedelte.

Hinter Alf-Bullay zwingt eine mächtige Felsenbarre den Fluß zu neuer, fast geschlossener Schleife und läßt ihn hier "im Hamm" so rückläufig werden, daß man, über die Marienburg nach Pünderich hinuntersteigend, das Dampfboot bequem überholen kann. Oben eins der vielen beglückenden Landschaftsbilder, die immer die Mühe des Aufstieges belohnen und den Mäanderlauf des geduldig alle Hindernisse umgehenden Flusses überschauen lassen. Oft durch die breiten Lehnen der Berge verdeckt, scheint er mit langen Seen das Tal zu füllen. Auch der Hamm umschließt ein gesegnetes Weingebiet, wo um Zell herum überall die berühmte "Schwarze Katz" spukt und den Reigen vieler lieblicher Namen anführt. Sie alle haben Zell und die anderen reizenden Ortschaften wohlhabend gemacht. Daß es einst die wichtigste Stadt des Erzstiftes war, davon zeugt vor allem die bischöfliche Burg aus dem 16. Jahrhundert mit den mächtigen Rundtürmen, und als Wahrzeichen steht noch der klobige efeuumsponnene Wartturm hoch über dem Ort am Friedhof aufgereckt, wo die Reben den Toten kaum Raum zur Ruhe von vieler Winzerarbeit gönnen. So dicht drängen sie heran, daß die Trauben über die niedrige Mauer hinweg über den Gräbern hängen. Die Sonnenseite ist kostbar. Erst der Wein - das ist hier das Leben -, und dann die Toten. Nur der Fremde wundert sich darüber.

[660] Nach der Heiterkeit des Tales wirken die Festungstrümmer des Mont Royal als Symbol stürzender Gewalt in ihrer Trostlosigkeit wahrhaft gespenstisch. Über dem Weinhandelsstädtchen Traben-Trarbach auf halbinselhaft vorspringendem breiten Felsenriegel ließ Ludwig XIV. durch Vauban, den besten Festungsbaumeister seiner Zeit, das gewaltige "Zwingmosel" errichten, das er zum Hauptstützpunkt seiner Raubzüge ausersehen hatte. Von diesem strategisch wichtigsten Punkt in der Mitte des deutschen Moseltales konnte die ganze gegen das Reich gerichtete Front von Basel bis Nymwegen beherrscht werden. 1687 wurde mit dem riesenhaften Unternehmen begonnen. Städte und Dörfer in weitem Umkreise wurden teilweise niedergelegt, um aus ihnen das Baumaterial für die Festungsstadt zu plündern, und die Einwohner mußten in hartem Frondienst Stein auf Stein zu ihrer eigenen Zwingburg setzen. So erstand auf der schroffen Höhe in kurzer Zeit eine Garnison für 10 000 Mann, und im Zeughaus lag die Ausrüstung für 30 000 bereit. Zahlreiche bis zum Fluß hinuntergeführte Forts machten dieses Verdun des 17. Jahrhunderts uneinnehmbar, bis durch den Frieden von Ryswyck die Schleifung beschlossen und 1697 auch tatsächlich durchgeführt wurde. Längst hat der Wald dort oben wieder seine Herrschaft angetreten, und auf der einsamen, allen Winden offenen steppenähnlichen Hochebene davor weiden große Rinderherden. Vergessen wäre die Zeit tiefster deutscher Wehrlosigkeit, wenn man es nicht in jüngster Zeit unternommen hätte, Bastionen und Kasematten tief unterm Walde wieder auszugraben und die unterirdischen Gewölbe mit ihren Tunneln und Treppen als warnendes Mahnmal nationaler Zerrissenheit zugänglich zu machen.

Wenn irgendwo, so gilt fürs Moseltal Goethes Wort: "Man reist doch nicht, um anzukommen," - das Ziel liegt im Unterwegssein von Ort zu Ort, von Wein zu Wein. Zeit muß man freilich haben, um die schöngeschwungenen Kurven des Stromlaufes auszuschreiten, bis sich ganz von selbst die große Ruhe beschaulichen Wanderns als wohltätigste Gabe dieser Landschaft einstellt. Sensationen freilich bietet sie nicht, denn alles ist ruhig hier, der Strom, die Berge, die Menschen. Und wer die unabsehbar sich dehnenden patinagrünen Rebenhänge mit dem weißen Zickzack ihrer Stützmauern eintönig nennen würde, sagt damit nur, daß er für die leisen Stimmungsreize des Tales kein Empfinden hat. Oft ist es nur ein langsam sich ausbreitender Schatten, mit dem die tieferstehende Sonne das Grün dunkler mischt, die lautlose Überfahrt einer Ponte mit müde gearbeiteten Winzern, die fromme Zwiesprache des Vesperläutens von Turm zu Turm, von Ufer zu Ufer, der stumme Bescheid einer Sonnenuhr mit riesigem Zifferblatt an der Felsenmauer weit übers Tal hinweg, eine kleine Kapelle oder ein Kreuz am Straßenrand. Unvergeßlich wie der Anblick der Porta nigra kann dann die kühle von den Insekten gemiedene Schatteninsel eines mächtigen Nußbaumes werden, der die flimmernden Wellen sengender Mittagsglut von sich abhält, oder der Trunk aus hohler Hand vom klaren Quell, der aus der Weinbergsmauer hervorsprudelt und von nicht geringerer Köstlichkeit ist als abends das Glas firnen Weines.

[661] So verschieden die Schleifen und Kehren des Tales auch voneinander sein mögen, einen gemeinsamen Zug haben sie doch, der die Eigenart der Mosellandschaft von Kochem bis Trier ausmacht. Die Flußkrümmung wird immer von einem steilen Hang, dem Prallhang, begleitet, während sich im Innern der Schleife der umgangene Felsriegel, der Gleithang, aus ebenen Wiesenflächen und Obstgärten allmählich aufrichtet. Alle Südhänge bis zum Grat hinauf sind mit Wein bestanden und durch vielfach übereinandergelagerte Terrassen, "Chöre", abgestützt, um so das Wegschwemmen der Erdschicht zu verhüten.

So wenig die stillversonnene Innigkeit der Landschaft von sich reden macht, so hochgepriesen ist ihr Wein. Hier, wo jeder Einwohner der vielen gemütlichen Talnester Winzer ist oder doch sonst irgendwie vom Weinbau lebt, ist der Wein wirklich - viel ausgeprägter als am Rhein - des Moselaners Schicksal. Des ganzen Jahres Mühe und Arbeit, Sorge und Hoffnung hängt an den Trauben, die eine einzige frühe Frostnacht im Oktober wertlos machen kann, und die guten Jahrgänge, denen eine gnadenreiche Reihe später Sonnentage die letzte Süße gibt, sind selten genug. Der Weinstock, im Süden heimisch und vermutlich schon in vorchristlicher Zeit von griechischen Kolonisten aus der Gegend um Marseille an die Mosel gebracht, bedarf hier einer umständlichen Pflege seines Wachstums. Die steilsten Hänge, von deren Schrägen der mattglänzende Schiefer die Sonnenstrahlen auf die Pflanze zurückwirft, sind die besten Lagen und erfordern die schwerste Arbeit. Hunderte voll Stufen in glühender Hitze muß der Winzer die schweren Lasten an Dung, Mutterboden und zerkleinertem Schiefer auf dem Rücken heraufschleppen. Das Setzen, Schneiden, Pfählen, Binden in steter Wiederkehr und dann das Jäten des Unkrautes läßt keine Zeit zur Ruhe. Was fordert allein das Schwefeln und Spritzen mit Vitriol gegen die gefürchteten Schädlinge Reblaus, Sauerwurm, Peronospora und Schimmelpilz für Mühe. Und alles muß mit den Händen getan werden, die auf den oft kaum zugänglichen schwindelnd hohen Terrassen durch keine Maschine ersetzt werden können. So hat die ganze Familie tagaus tagein vom frühen Morgen bis zur sinkenden Sonne dort oben unermüdlich zu schaffen. Nur während einer kurzen Pause ist es still in den "Wingerten". Das ist die Zeit der letzten Reife, wo die Zugänge versperrt sind und außer den Wächtern niemand hinein darf. Bis dann eines Morgens, oft wenn schon die Novembernebel das Tal verhüllen, die Glocken die hohe Zeit der Lese einläuten.

Nach Winzerfesten schaut man hier vergeblich aus. Die gibt es nur unten, wo der Fluß schon rheinischer wird und auch dann nur in besonders guten Jahren. Deshalb ist aber der Moselaner nicht etwa ungesellig zu nennen. Zunächst zwar wortkarg und spröde - die Frauen läßt die viele schwere Arbeit schnell verblühen -, kommt man bei einer Flasche bald mit ihnen zusammen und entdeckt den urwüchsigen, rauhen Humor des wettergebräunten stämmigen Menschenschlages. Dazu muß man in die Straußwirtschaften, die einfachen kleinen Trinkstuben in den Winzerhäusern, gehen, wo der Weinbauer sein eigenes Wachstum so billig ausschenkt, daß man die Flaschen nicht ängstlich zu zählen braucht.

[662] Der Moselwein ist leichter als der vom Rhein und mit seinem ehrlich herben, stahligen Geschmack nach Erde und sonnendurchglühtem Schiefer auch bekömmlicher und unbelastender. Es gehört schon manche "Schwarze Katz" dazu, um zu einem Kater zu kommen.

    "Ich hab getrunken manchen Wein
    In manchem Land beim Wandern.
    Der eine fuhr mir ins Gebein,
    Im Kopf fühlt ich den andern.
    Ins Herz doch ging mir keiner so
    Und machte mich so frei und froh,
    Losledig aller Bande,
    Wie Wein vom Mosellande."

Über dieses allgemeine Lob von Jul. Wolff hinaus hat aber jede Lage ihre besondere Würzigkeit, ihren eigensten Duft der Blume. Obenan als unvergleichliche Krönung steht der "Bernkastler Doktor", an dem ein siecher Erzbischof zu neuem Leben genas, wie die Chronik getreu vermeldet. Der "Zeltinger Schloßberg", von wo sich bis Bernkastel der größte deutsche Weinberg ausdehnt, das "Erdener Treppchen", das "Piesporter Goldtröpfchen" und der Trierer "Augenscheiner" stehen ihm nicht nach, und wer in Uerzig vom "Würzgarten" über "Schwarzley" zum "Urglück" kam, fand wohl in Graach das "Himmelreich". So gehen die Namen in langer bilderreicher Reihe. Oft wunderlich genug, daß - wie in Cröv - der Winzer einen guten Tropfen mit der kerndeutschen ortsüblichen Bezeichnung "Nacktarsch" empfehlen kann.

Nicht hinwegzudenken wie der Wein ist aus dem sommerlichen Bilde der Mosel auch das lustige Wasservölkchen der Paddler, das mit seinen schnittigen bunten Booten die Ruhe des Flusses belebt, der von Trier bis zur Mündung - außer den paar Dampfbooten ohne größeren Verkehr - wie kein anderer zum ausruhsamen Hinabgleiten an den vielen Schönheiten vorbei geschaffen ist.

Um die große Schleife zwischen Cröv und Zeltingen bauen sich die Weinberge mit den vielen Stufen ihrer Felsterrassen wie zum feierlichen Rund der Muschel eines riesigen antiken Theaters auf, in dem sich das lautlose Schauspiel des Stromes und der breit an seinem Ufer gelagerten Siedlungen wie ein uraltes Epos abspielt. Ungestört durch die rechtsufrige Moseltalbahn, die mit ihren paar Wägelchen an jedem Nest wichtigtuerisch haltmacht. Nur im frühesten Frühjahr, wenn droben in den Vogesen über Nacht die Schneeschmelze beginnt, wird der Frieden der Szene zum wilden Getümmel des Hochwassers und Eisganges verwandelt.

Bernkastel ist das Rothenburg der Mosel, nur daß hier an Stelle der roten Ziegeldächer das Blau des Schiefers tritt. Von den einstigen starken Wehrbauten des Städtchens ist am Ufer nur ein riesiger Zinnenturm erhalten geblieben. Alles andere haben damals die Franzosen niedergerissen und zum Bau ihrer Festung Mont Royal verwandt. Aber um den aufsteigenden Markt- [663] platz herum und in den engen winkligen Seitengassen hat sich mit prächtigen steilen Fachwerkfronten das Gesicht des 16. Jahrhunderts unverfälscht erhalten. Am Ufer gegenüber liegt Cues, wo das Nikolausspital das Andenken an seinen Stifter, den großen Kardinal und Astronomen Nikolaus Cusanus lebendig erhält. 1401 wurde dieser größte Gelehrte seiner Zeit, die ihn die "Zierde des ganzen deutschen Volkes" nennt, als Sohn eines Winzers und Moselschiffers geboren. 300 Jahre vor der Aufklärung hat er schon den Gedanken des Volksstaates als Rettung des Reiches vor dem Basler Konzil vertreten und durch seine Einsicht in die astronomischen Zusammenhänge die umstürzenden Lehren des Kopernikus und Galilei vorbereitet. 1464 ist er in Umbrien gestorben, aber sein Herz wurde auf seinen Wunsch in dem schönen sterngewölbten Raum der Spitalskapelle beigesetzt, vor den kostbaren Altarbildern des Kölner "Meisters des Marienlebens".

In Neumagen verließ einst die Römerstraße von Trier das Tal, um über die Hunsrückberge weiter nach Bingen zu führen. Schon zu dieser Zeit war der Ort ein Hauptplatz für den Weinhandel, wovon man anschaulich belehrt wird durch das jetzt im Trierer Museum aufgestellte "Römische Weinschiff". Eine trefflich erhaltene Bildhauerarbeit der vorkonstantinischen Zeit, die ein Drachenschiff darstellt, auf dem vier große Fuderfässer von einer Schar Ruderer begleitet werden. Die Gesichter sind so außerordentlich wirklichkeitsnah getroffen, daß über die Trinkfestigkeit und Weinseligkeit der Besatzung kein Zweifel bestehen kann. Das schöne Stück wurde mit dem größten Skulpturenfund provinzialrömischer Kunst auf deutschem Boden bei Nachforschungen nach der "erlauchten Feste" Konstantins des Großen hier ausgegraben. Wenn auch der Palast des Kaisers und die römischen Villen, deren Glanz Ausonius bewundernd besingt, längst zerfallen sind, Noviomagus, Neumagen ist erhalten geblieben, und das Städtchen hat es sich nicht nehmen lassen, dem Dichter der Mosella, dem ersten Verkünder deutscher Landschaft, ein Denkmal zu setzen.

Das Tal aufwärts mehren sich die Spuren der Römerzeit. In den Ortsnamen Quint und Detzem z. B. haben sich die lateinischen Benennungen rein erhalten: ad quintum, decimum lapidem (am 5., 10. Meilenstein von Trier aus), und nicht selten begegnet man hochgewachsenen Frauengestalten mit stolzem, südländisch geschnittenem Gesicht, denen man den Namen Agrippina oder Claudia beilegen möchte.

Nach all der Lieblichkeit des Tales, nach der Fülle ausgeruhter Landschaftsbilder, die hinter jeder überraschenden Biegung des Flusses erneut sich auftun, wartet hart an der Grenze des Reiches, wie die Erfüllung eines großen Versprechens, Deutschlands älteste Stadt: Trier. Wie groß auch die Erwartungen sein mögen, die man mitbringt, die Wirklichkeit dieser unvergleichlichen Stadt wird sie alle weit hinter sich lassen. Hier, wo das Tal zu einer breiten Bucht fruchtbaren Gartenlandes sich öffnet und die Stadt unter Weinbergen vor den sanft gleitenden rötlichen Hängen der Sandsteinhügel sich ausdehnt, ruft die besondere Farbigkeit und Leuchtkraft der Atmosphäre stark und beglückend [664] den Eindruck südlicher Heiterkeit hervor, in der die Wucht und Größe der antiken Bauten nur noch eindringlicher wirkt.

Die Geschichte der Stadt geht bis auf den Anfang unserer Zeitrechnung zurück, als die Römer hier ihre Heerstraße von Lyon nach Köln auf der heute im Kern noch römischen Steinbrücke über die Mosel führten. Aus einem Brückenschutzort also hat sich die Moselstadt zum Mittelpunkt des gesamten Römerreiches nördlich der Alpen entwickelt. Das "Rom des Nordens" war mit 80 000 Einwohnern - eine Zahl, die erst heute wieder erreicht ist - die viertgrößte Stadt des Weltreiches. Fünf römische Kaiser, unter ihnen Konstantin der Große, haben hier seit dem 3. Jahrhundert Hof gehalten und jene Prachtbauten aufgeführt, deren unvergängliche Trümmer noch eine lebendige Vorstellung vom märchenhaften Glanz der antiken Luxusstadt bieten. Der Name Trier ist der abgeschliffene Rest der einstigen stolzen kaiserlichen Bezeichnung Augusta Trevirorum. Hergeleitet von der Lage im Gau der Treverer, von denen Cäsar im Gallischen Krieg berichtet. Dieser keltische Stamm, der beide Seiten des Moseltales bis zum Rhein hinab besiedelte, war wegen seiner Pferdezucht ein ausgesprochenes Reitervolk, das nach seiner Unterwerfung im römischen Heer eine starke Waffe bildete. Das keltische Blut wurde bald mit römischem durchsetzt, und als dann im 5. Jahrhundert das Imperium unter dem Ansturm der Germanen zusammenbrach, richteten sich von Köln her vordringend ripuarische Franken in den Trümmern der Kaiserstadt ein. Wenn auch das Rassenbild der Bewohner hauptsächlich von ihnen bestimmt ist, so finden sich doch als Erinnerung an die keltisch-römische Welt - jene eigenartige nordisch-römische Mischkultur in der Provinz Belgica secunda -, häufig dunkeläugige und schwarzhaarige Gestalten. Fünfmal wurde Trier im 5. Jahrhundert von den Franken zerstört, und die Aschenschicht über den wieder freigelegten Resten der Römerbauten zeigt, wie die verhaßte Stadt verwüstet worden ist.

Kein Denkmal auf deutschem Boden zeigt drohender die Macht der römischen Cäsaren als die von zwei gewaltigen Rundtürmen flankierte Torburg der Porta nigra. Aus roh behauenen, schwarz verwitterten Blöcken aufeinandergetürmt, ohne Mörtel, nur durch eiserne Klammern verbunden, durch Halbsäulen und schwere Gesimse klar gegliedert, hat dieses Bollwerk nun fast schon zwei Jahrtausende überdauert und "wirft aus hundert Fenstern die Verachtung" (George). Wie ein Gebirge bedrängen den Aufwärtssteigenden die Mauern, groß genug, daß das Mittelalter in ihnen zwei Kirchen übereinander unterbringen konnte. Erst Napoleon, im Gefühl des Erben der Imperatoren, veranlaßte - unter Beibehaltung des romanischen Choranbaues - die Zurückführung auf den ursprünglichen Zustand.

Trier. Porta nigra, Stadtseite.
[610]      Trier. Porta nigra (Stadtseite).

Als ältester Römerbau aber, noch dem 1. Jahrhundert zugehörend, gilt das Amphitheater, jene gewaltige ellipsenförmige Anlage, deren Ringe 30 000 Zuschauern Raum boten. Die Abmessungen sind nur um weniges kleiner als beim Colosseum in Rom. Im riesigen Rund der Arena fanden die beliebten Tierhetzen statt, hier fochten die Gladiatoren gegeneinander, und hier mußten [665-672=Fotos] [673] Tausende germanischer Gefangener und verfolgte Christen unter den Pranken afrikanischer Bestien zur Belustigung der grausamen Eroberer verbluten! Freundlicher ist der Eindruck drüben in den Kaiserthermen, wo turmhoch ragende Mauern mit den weiten Bögen der Fensteröffnungen dazwischen es leicht machen, sich den Luxus dieses riesigen Badepalastes aus der Zeit Konstantins vorzustellen. Größer als die Thermen Caracallas in Rom ist diese Anlage gewesen, deren Reste zu den gewaltigsten Ruinen der Römerzeit überhaupt gehören. Unter kühn gewölbten Kuppeln, umgeben vom erlesensten Schmuck an Malereien und Bildsäulen, hat hier der Römer seinen Körper gepflegt und in der säulenumhegten Palästra gestählt. Staunend wandert man in den kilometerlangen Stollen der Kanäle und Heizungsanlagen umher, die dazu nötig waren, die verwöhnten Südländer das rauhe nordische Klima vergessen zu lassen. Nicht genug mit diesem freilich nie ganz vollendeten Prachtbau, besaß Trier in den kaum weniger ausgedehnten Barbarathermen noch eine zweite Bäderanlage.

Mit den kaiserlichen Bauten der Residenz wetteiferten in der Umgebung die schöngelegenen Villen der römischen Adligen, die ihren Reichtum in Großgrundbesitz im Kolonialland anlegten. Die begüterten Treverer, die sich bald genug die Vorzüge der überlegenen römischen Kultur aneigneten, taten es ihnen gleich. So wurde eine Reihe dieser ländlichen Schlösser ausgegraben, die an Pracht der Ausstattung denen in Pompeji nicht nachgestanden haben, sie an Ausdehnung aber sogar weit übertrafen. Die Funde an szenenreichen Mosaikböden, Skulpturen und anderem Schmuck von Otrang, Nennig und Welschbillig - um nur die wichtigsten zu nennen - gehören ihrem Umfang und der Qualität nach zum Bedeutendsten, was das Landesmuseum in Trier an Schätzen aus der Römerzeit zu bieten hat.

In das Grün der Parke gebettet schlossen sich die Säulenhallen und Flügelbauten dieser Villen mit roten Ziegel- und blauen Schieferdächern abwechslungsreich um ein Schwimmbecken oder einen Blumengarten mit Wasserkünsten. Bildhauer und Maler hatten da überreiche Gelegenheit, ihre Kunst zu zeigen. Die nach Trier verbrachten Funde vom berühmten Hermenweiher aus Welschbillig könnten aus Campanien stammen und geben ein eindrucksvolles Bild vom Luxusbedürfnis und der hohen Wohnkultur im friedlichen Etappengebiet hinter der schwer befestigten Rheinfront. Die Besonderheit dieses hauptsächlich zum Rudersport hergerichteten Teiches ist sein kunstreich durchbrochenes steinernes Gitter, auf dem weit über 100 Hermen aufgestellt waren, die mit ihrem bunten Durcheinander von Germanen, Kelten, Römern, Negern und Orientalen vom Völkergemisch im Koloniallande erzählen.

Daß auch die Grabmalkunst im Gebiet der Residenzstadt in hoher Blüte stand, ist begreiflich. Wie sehr es den Patriziern um den Nachruhm zu tun war, davon kündet der riesige Igeler Pfeiler. Moselaufwärts, wo der Fluß die Saar aufnimmt, steht er mit seinen 23 Metern wie ein Kirchturm einsam genug zwischen den niedrigen Häusern. Die Familie des Trierer Tuchfabrikanten Secundinius hat sich das anspruchsvolle Monument mit den vielen [674] Reliefdarstellungen im 3. Jahrhundert errichten lassen. "Hier stehen Eltern und Kinder gegeneinander, man schmaust im Familienkreise; aber damit der Beschauer auch wisse, woher die Wohlhäbigkeit komme, ziehen beladene Saumrosse einher; Gewerb und Handel wird auf mancherlei Weise vorgestellt" (Goethe).

Im Altbachtal, unweit der Kaiserthermen, ist eine ausgedehnte Kultstätte mit den Fundamenten von über 50 Tempeln freigelegt worden, in denen die lange Reihe der einheimischen gallo-germanischen und anderen nichtitalischen Gottheiten verehrt wurde. Der durch orientalische Soldaten eingeführte Mithraskult nahm einen breiten Raum ein, und beim Anblick der Bildwerke des felsgeborenen persischen Lichtgottes hier in deutschen Gauen wird man auf besondere Weise der völkerumspannenden Macht des Imperiums inne.

Das Landesmuseum ist die überfüllte Sammelstätte der zahllosen Funde, die sich täglich mehren. Wenn man sich müde gesehen hat an den ausgestellten Reichtümern an Plastik und Schmuck, an den vielfarbig schimmernden kostbaren Gläsern und den herrlichen brennendroten Gefäßen der Sigillata-Ware, dann bleiben wohl nur ein paar Eindrücke für die Dauer haften, die aber genügen, das ganze berückende Bild dieser heiter strahlenden heidnischen Welt heraufzubeschwören: der in den Barbarathermen gefundene Amazonentorso aus schimmerndem Marmor, dessen blühender Leib mit der zärtlichen Fältelung des Gewandes das Vorbild des Phidias deutlich werden läßt, ein Jünglingstorso oder die erwartungsvolle Danae. Oder es braucht nur ein einziges Glied zu sein, wie der Arm jener tanzenden Mänade mit der Weintraube in der Hand, die den taumelnden Überschwang des bacchantischen Zuges verkündet.

Die großartige Wirkung der sogenannten Basilika, einem römischen Staatsgebäude der konstantinischen Zeit, beruht neben den imponierenden Ausmaßen vor allem auf der strengen Würde der "heilig nüchternen" turmhohen Ziegelmauern, die unter Verzicht auf jede schmückende Beigabe nur durch schmale bis zum Dach hinaufreichende Bogennischen gegliedert werden. Wenn der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wiederhergestellte und seit da als evangelische Kirche dienende Bau auch nur zur Hälfte noch antiker Herkunft ist, so zeigt gerade die getreue Ergänzung ein geschlossenes Bild jener Gesinnung ernster Größe, der sich seit Schinkel die deutsche Architektur erst heute wieder verpflichtet fühlt.

Im Dom zu Trier, der ältesten Kirche Deutschlands, zeigt sich symbolhaft die Geburt der christlichen Kirche aus dem Geist der Spätantike. Der Kern dieses gewaltigsten Denkmales aus dem Anfang des Christentumes auf deutschem Boden ist der hier vermutete Palast der Kaiserin Helena, jedenfalls aber eine römische Prachthalle des 4. Jahrhunderts. Was auch spätere Zeiten nach der Zerstörung durch die Franken im 5. Jahrhundert und nach dem Normannenüberfall im 9. Jahrhundert bis an die Gegenwart heran hinzugefügt haben - die Größe römischer Baugesinnung ist als weiterwirkende Kraft anvertrauten Erbes herrschend geblieben. So daß die mächtige Front mit der trotzig vorgestoßenen Apsis zwischen den beiden runden Treppentürmen unter den würfelförmigen [675] Klötzen der Glockentürme als karg geschmücktes Ganzes von der gleichen drohend bedrängenden Wirkung eines Gebirges ist wie die Porta selbst. Von keiner Stelle aus hat man einen völligen Überblick, aber überall das Gefühl gebändigter ungeheurer Kraft, die imstande sein könnte, den beengenden Gürtel der darumgelagerten Altstadt zu zersprengen. Der schwerwuchtende Baukörper umschließt einen Raum von hallender Weite und einfachster klarer Gliederung. Um vier massige Mittelpfeiler, die im Kern noch die römischen Säulen enthalten, ordnet sich die dreischiffige Anlage mit den schweren Gewölben, deren Spannweite im Mittelalter nicht wieder erreicht worden ist. Angelehnt an die schmucklosen Seiten der Pfeiler kommt die erlesene Kunst der prunkvollen Grabmäler der Bischöfe aus der Renaissance und Barockzeit nur zu eindrucksvollerer Wirkung. Ein großer Teil der Ausstattung ist 1794 den französischen Revolutionsheeren zum Opfer gefallen. Wer damals flüchten konnte, verließ die Stadt; die Plünderer aber versteigerten die Beute im Dom, oder sie wurde als "Staatsbesitz" nach Metz geschafft. Rechtzeitig genug hatte man jedoch noch den Domschatz mit dem Hl. Rock nach Ehrenbreitstein in Sicherheit bringen können. Wenn das graue Gewand Christi, die kostbarste Reliquie des Erzbistums, im hohen Chor feierlich ausgestellt wird und das Millionenheer der Pilgerzüge ehrfürchtig an ihm vorüberzieht - heute noch so wie damals, als Joseph von Görres mit großer Anschaulichkeit davon berichtete -, dann erlebt man eindringlich, warum die Stadt das "heilige Trier" heißt, die außerdem draußen in der gewaltigen romanischen Basilika von St. Matthias - über der Versammlungsstätte der ersten christlichen Gemeinde - das Grab des einzigen nördlich der Alpen bestatteten Apostels birgt.

Eng an den Dom gelehnt und durch den gemeinsamen um einen lichten, bunt überblühten Friedhof geführten gotischen Kreuzgang untrennbar mit ihm verbunden zeigt die bedeutend kleinere Liebfrauenkirche doch dieselbe Größe der Baugesinnung. Ihre Schauseite mit dem reichen figurengeschmückten Portal und der riesigen Kreuzigungsgruppe vor dem turmhohen Giebel darüber ist die Übersetzung der abweisend schroffen Domfront aus der Romanik in die gefälligere freundlichere Sprache der frühen Gotik. Wenn auch der von vielen farbigen Fenstern durchsonnte Innenraum mit seinem Wald von Pfeilern zunächst verwirrend wirkt, so wird man bald der schönen Harmonie des um vier Mittelpfeiler entwickelten vielteiligen Zentralbaues inne, wo das Baumeisterliche auf solcher Höhe der Gestaltung steht, daß neben ihm alle schmückende Zutat der Ausstattung bescheiden zurücktritt.

Die vornehme Abgeschlossenheit des stillen Bezirkes um Dom und Liebfrauen mit den Kurien, deren Gärten Blütenzweige über die Mauern hängen lassen, öffnet sich durch eine kurze Straße zur geräuschvollen Lebendigkeit des Marktplatzes, wo zwischen den Ständen mit Blumen und Früchten auf einer römischen Säule das Marktkreuz aus dem 10. Jahrhundert aufgerichtet steht und die Renaissance als festlichen Schmuck den schönen Petersbrunnen hinzufügte. Nach Süden und Westen wird der Platz gerahmt von den dichtgedrängten schmalen Giebelfronten mittelalterlicher Bürgerhäuser, die mit vielen Fenstern [676] auf das heitere Treiben schauend, in der Höhe miteinander wetteifern und doch den Preis dem mächtigen Turm von St. Gangolf lassen müssen, der sie alle wie ein treuer Wächter überschaut. Auch sonst mischt sich das Mittelalter noch mit ganzen Straßenzügen in das Stadtbild. Am eindrucksvollsten im Weberbach und der zur Mosel führenden Krahnenstraße mit dem alten mächtigen Krahn am Ufer. Freilich ist dort heute die Wohlhabenheit nicht mehr zu Hause, der die oft recht stattlichen Bauten ihre Entstehung verdanken. Aber spitzwegisch geht es dort zu, wo sich sommers das Leben mit unzähligen lärmenden Kindern und schwatzenden Frauen auf die Straße drängt. Um die schlichte Franziskanerkirche aus dem 14. Jahrhundert haben die Jesuiten während der Barockzeit mit dem Gymnasium und der Stadtbibliothek eine stille Insel der Gelehrsamkeit geschaffen. Die berühmte Bibliothek hütet kostbarste Schätze karolingischer und ottonischer Handschriften, und in der Kirche dabei liegt Friedrich von Spee bestattet, der Sänger der "Trutznachtigall" und unerschrockene Vorkämpfer gegen den Wahnsinn der Hexenverfolgungen. Drei Jahrhunderte später leuchtete der Ruhm der Tapferkeit noch einmal über dem Namen seines Geschlechtes, als der große Admiral mit seinen beiden Söhnen in der Schlacht bei den Falkland-Inseln den Heldentod fand.

Aber die festlichste Seite der vielfältig bezaubernden Stadt zeigt sich im jubelnden Überschwang der kurfürstlichen Bauschöpfungen aus dem Rokoko. Überall ist es ja irgendwie beigemischt in Anbauten, Kapellen oder doch wenigstens in prunkenden Ausstattungsstücken. Rein und nach seinem Vermögen monumental stellt es sich jedoch erst im Residenzschloß dar, das mit seinem breitgelagerten Hauptbau auf einen weiten Platz schaut, den man sich im ursprünglichen Zustande als gepflegten Park mit springenden Wassern zu denken hat. Die Pracht der Portale und Ballone, die üppige Bildhauerkunst im Giebelfeld darüber ist nur ein Vorklang für das verschwenderische Treppenhaus im Innern mit dem schäumenden Strudel der Ornamente an den Geländern. Aber hinter den Türen zum Saal enttäuscht ein Anblick trostloser Verlassenheit die Erwartungen. Denn wo einst die Kunst der Maler, Stukkateure und Tischler ihr Bestes gegeben hatte und hohe Pfeilerspiegel den Glanz der rauschenden Feste vervielfachten, da starren seit den Tagen der französischen Revolution nackte Wände und berichten von der schweren Zeit, die damals für die Stadt hereinbrach.

Den Raubkriegen Ludwigs XIV. war 1673 in Trier außer der Abtei St. Maximin auch St. Paulin zum Opfer gefallen. Doch ist gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts unter dem Kurfürsten Frz. Gg. von Schönborn St. Paulin als ein Meisterwerk Balthasar Neumanns um so herrlicher wieder erstanden. Schmal und schlank, kühl und vornehm hält der gestreckte einschiffige Bau mit dem aus der Westfront steil herauswachsenden einzigen Turm die auf ihn zustrebende Stadt in geziemendem Abstande. Sehr gepflegt, sehr adlig und rassig sind die einzelnen Bauformen von jener überlegenen Anspruchslosigkeit und Gelassenheit, hinter der sich der Überreichtum der stürmenden Formenwelt des Innern geschickt verbirgt. Denn einen Schritt nur braucht es, um in eine [677] Welt reinster Beglückung entrückt zu sein, wo über der strahlenden Helligkeit aus vielen wandhohen Fenstern das farbige Wogen der Decke schwebt. Am Chor, wo die weißen Pilaster sich immer enger zusammendrängen über Stufen und hinter vergoldeten Gittern, zieht das schimmernde Heiligtum Blick und Schritte zu sich. Dieser Hochaltar, der zwischen marmornen Säulen verehrende Heilige um das Bild der entschwebenden Immaculata stellt, ist mit seiner Bekrönung ein Äußerstes, nicht mehr Überbietbares. An ihm tastet der Blick sich zur Decke hinauf, wo Putten sich tummeln und den aufgetanen Himmeln entgegenjubeln, wo in unbegrenzten Weiten über Wolkenbergen in den strudelnden Farben der Morgenröte mit den Scharen der Seligen das Überirdische schaubar wird.

Neben ihrem unvergleichlichen Rang als Kunststadt liegt die Bedeutung Triers für die Gegenwart vor allem darin, daß sie der Welthandelsplatz für die Weine der Mosel, Saar und Ruwer ist, die von hier aus als köstlichste Gaben des Gaues in alle Länder der Erde gehen. Die Gewölbe der riesigen Kellereien sind die Stadt noch einmal in der Unterwelt. 30 000 Fuder, das bedeutet 30 Millionen Liter Wein können hier gelagert werden, und über solchen Reichtum ist das deutsche Weinmuseum an der rechten Stelle, das einen anschaulichen Überblick über diesen wichtigsten Wirtschaftszweig des Mosellandes gibt. Außerdem hat man besonders in den letzten Jahren auch den Anbau von Obst so gefördert, daß der Trierer Bezirk zu unserem ergiebigsten Obstgarten geworden ist.

Überschaut man drüben vom anderen Ufer die vor den rötlichen Hügeln sich dehnende Stadt mit den steinernen Zeugen zweier Jahrtausende machtvoller Geschichte, so begreift man, daß dieses goldene Tor nach Deutschland seit je dem Ansturm westlicher Eroberungslust ausgesetzt war und weiß den Kurfürsten Dank für ihre unerschütterliche Heimattreue, mit der sie das Grenzland verteidigten und dem heiligen Trier um 1700 jenen Ehrennamen eintrugen, in dem sich zugleich das Schicksal dieses blühenden Gaues verkündet: "pilier de l'Allemagne" - Eckpfeiler des Deutschen Reiches.

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Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke