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Blut für Habsburgs Hausmacht

"In deinem Lager ist Österreich!" rief Grillparzer 1848 über die Armee Radetzkys in Italien aus. Mit diesen Worten erschien wohl am treffendsten die Aufgabe gekennzeichnet, die dem nunmehr kaiserlich-königlichen Heere während der ganzen Epoche vom Wiener Kongreß bis zum Dänenkriege von 1864 und der großen deutschen Entscheidung von 1866 erwuchs. Sie hatte nur mehr bedingt und als Bundesarmee der Verteidigung gesamtdeutscher Interessen zur Verfügung zu stehen, ihr Einsatz sollte von nun ab fast ausschließlich der Erhaltung eines Staatssystems gelten, das aus der Buntheit seiner Zusammensetzung doch schon den Todeskeim in sich trug. Hatte doch Österreich im Wiener Kongreß endgültig auf die Wacht am Rhein verzichtet. Belgien wurde im Verein mit Holland zum Königreich der Niederlande vereinigt, am Rhein stand jetzt Preußen, das, wieder erstarkt und neu gekräftigt, nun endgültig jene Rolle auszumerzen bestrebt war, die es gegen Ende der Koalitionskriege gespielt hatte. Auch Bayern wurde durch die Zuerkennung der Rheinpfalz zum Verteidiger der Reichsgrenze. Neununddreißig Staaten nannten sich "Deutscher Bund", und obwohl Österreich den Vorsitz im Frankfurter Bundestage führte, so war es dort, gleich Preußen, als deutscher Staat doch nur mehr mit einem Teil seiner Länder vertreten. Dafür diente die Wiedergewinnung des Innviertels, Tirols und Vorarlbergs, sowie die Einverleibung Salzburgs unter Habsburgs Zepter jetzt im erhöhten Maße dem Ausgleich des Kräfteverhältnisses zwischen Deutschen, Slawen, Romanen und Magyaren, die gegeneinander zum Nutzen Habsburgs auszubalancieren, oder besser gesagt auszuspielen, immer eindeutiger die vordringlichste Aufgabe der Wiener Staatsführung wurde. Die schwerste Belastung für den Staat Franz I. bedeutete ohne Zweifel die Besitznahme des lombardo-venezianischen Königreiches. Gleichzeitig wurde aber durch die Wiedereinsetzung Habsburg verwandter oder verbundener Fürsten in ganz Italien Österreich zum Polizisten der "bestehenden Ordnung" [229] gemacht, eine Aufgabe, die es weit mehr in blutige Auseinandersetzungen verwickeln sollte als die Niederhaltung nationaler Strömungen im wiedergewonnenen Westgalizien, im neu hinzugekommenen Dalmatien, Ostgalizien, Istrien und selbst in Ungarn.

Wer aber als "erstes Instrument" dieser, durch eine heilige Fürstenallianz beschworenen Ordnung das ganze Ausmaß des Hasses und des Widerwillens der niedergehaltenen Völker auszukosten bekam, war das Heer. Bestes deutsches Soldatentum mußte sich im anbefohlenen Einsatz mit den Söhnen anderer Völker durch Jahrzehnte zur Bekämpfung nationaler Einigungsbewegungen hergeben und wurde zum Polizeibüttel eines Systems erniedrigt, das es verabsäumte, seinen Soldaten große und aus seiner Tradition erwachsende Aufgaben zu stellen, wie sie etwa die weitere Schutzpflicht für das südliche Deutschland gegen den Westen gewesen wäre. Es sprach in der Tat für den Wert der diesem Heere innewohnenden soldatischen Tugenden, daß es die ihm erwachsenden Aufgaben mit einem Höchstmaß an Pflichterfüllung, Tapferkeit und Selbstverleugnung auf sich nahm und so, ungeachtet der Maßnahmen jener Staatsgewalt, die es vertrat, zum Mehrer seines alten Soldatenruhmes wurde. Wohl niemals in der Geschichte war ein Heer mehr auf sich allein gestellt als jene österreichische Armee, die sich von 1820 bis 1849 zwischen den Alpen und Sizilien, in Galizien und zuletzt noch in Ungarn schlug. Es schien, als habe sich das System der Erstarrung auch auf alle jene übertragen, die die Verantwortung für die Ausgestaltung des Heerwesens trugen. Nichts von dem nach dem Abgange Erzherzog Carls im Jahre 1810 unterbrochenem Reformwerk wurde fortgesetzt. Seit dem 1820 erfolgten Tode Schwarzenbergs scheute man sich auch an den obersten militärischen Stellen vor Neuerungen, und wo Männer wie Radetzky dringende Forderungen erhoben, wurden sie unter Erhöhung ihres militärischen Dienstranges durch eine Provinzkommandierung kaltgestellt. Während Preußen die allgemeine Wehrpflicht einführte, klebte man in Österreich an dem Rekrutierungssystem der Konskription und wies jeden Gedanken von sich, der im Sinne der geleisteten Vorarbeit Erzherzog Carls dem Volksheer und damit der allgemeinen Wehrpflicht die Wege geebnet hätte. Die Rekrutierungsvorschriften boten überhaupt ein getreues Spiegelbild der Buntscheckigkeit der zur Dienstleistung herangezogenen Landeskinder und der Eigenart der verfassungsrechtlichen Bindung ihrer Länder zur Monarchie. So gab es in Österreich in jener Epoche vier verschiedene Aushebungssysteme: jenes für die sogenannten altkonskribierten Provinzen (alle Länder mit Ausnahme Tirols, Ungarns und des lombardo-venezianischen Königreiches) mit vierzehnjähriger Kapitu- [230] lationsdauer, für Tirol mit achtjähriger Dienstzeit, für Ungarn die lebenslängliche Dienstpflicht mit Beurteilung des jährlich zu stellenden Kontingents durch den Landtag und endlich für die Lombardei und Venetien die achtjährige Dienstverpflichtung. Auch an der Militärgrenze bestand nach wie vor die lebenslängliche Dienstpflicht der Grenzbewohner. Noch unverständlicher gestalteten sich die Maßnahmen, die zum Zwecke der Heeresergänzung durch Reserven oder durch die Landwehr getroffen wurden. Hatte man die Armeeorganisation Erzherzog Carls durch eine erneute Rücksichtnahme auf die politische Zusammensetzung des "Mosaikstaates Nr. 1" bereits in ihren wesentlichsten Punkten durchlöchert, so beseitigte man sie durch die Rekrutierungsvorschrift vom 4. August 1827 vollends. Durch diese Vorschrift wurde die Reserve als unbedingt notwendige Ergänzungsquelle der Armee abgeschafft und an ihre Stelle eine vom dreißigsten Lebensjahr aufwärts geltende Landwehrpflicht eingeführt.

Es war daher ein um so anerkennenswerteres Verdienst, wenn Männer wie Radetzky dieser Verknöcherung aller militärischen Begriffe durch eine unermüdliche Kleinarbeit allmählich wieder frischeres Leben einzuhauchen versuchten. Als Schüler Erzherzog Carls trat dieser General auch als Mahner und Vorkämpfer neuzeitlicher Ideen in die Fußtapfen seines Lehrmeisters. Am 2. November 1766 als Sprosse eines wenig begüterten böhmischen Geschlechtes geboren, meldete er sich sehr frühzeitig zum Waffendienste. Er wurde bereits in den Türkenkriegen Josefs II. als schneidiger Reiteroffizier bekannt, diente in den ersten Koalitionskriegen als Ordonnanzoffizier im Stabe Josias von Coburg und zeichnete sich dann auch in Italien unter Beaulieu aus. Im Jahre 1805 war er bereits General und focht unter dem Oberbefehl Erzherzog Carls in Italien. Durch und durch Reiterführer, brachte er besonders die von ihm geführten Kavallerieregimenter auf einen besonders guten Ausbildungsstand. Dem vorbildlichen Einsatz der von Radetzky geführten Schwadronen längs der Donaulinie war es 1809 auch zu danken, daß Erzherzog Carl sein Heer zur Schlacht bei Aspern bereitstellen konnte. Nach dem Feldzug berief ihn Schwarzenberg zum Chef des Generalquartiermeisterstabes. Während der Vorbereitungen zum Feldzuge von 1813 war es dann Metternichs unleugbares Verdienst, daß er Radetzkys große Fähigkeiten erkannte und dafür Sorge trug, daß dieser Schwarzenberg zur Seite gestellt wurde. Nach den Feldzügen der Befreiungskriege setzte sich nun Radetzky unermüdlich für die Fortführung und Ausgestaltung des von Erzherzog Carl begonnenen Reformwerks ein. Während sich der letztere in voller Zurückgezogenheit nur mehr seiner Familie, der Kunst und der militä- [231] rischen Fachwissenschaft widmete, schien der Generalstabschef von Leipzig alle Tatkraft, aber auch alle Hartnäckigkeit des lästigen Mahners in sich zu vereinigen. Es entsprach dem Zuge der Zeit, daß man so auch Radetzkys überdrüssig wurde. Verärgert bat nun auch er schließlich um seine Enthebung. Er ging erst als Divisionär nach Ödenburg, wurde später dem Kommandierenden von Ungarn zugeteilt und übernahm schließlich mit der gleichzeitigen Beförderung zum General der Kavallerie das Festungskommando von Olmütz.

Erst als 1830 die Gefahr eines Krieges in Italien näherrückte, erinnerte man sich seiner wieder und übertrug ihm den Oberbefehl in der Lombardei. Obwohl schon fünfundsechzigjährig, widmete er sich nun mit ungebrochener Tatkraft der Ausbildung der dort stationierten Streitkräfte. Alles, was er in zahllosen Denkschriften, in Vorschlägen und in unermüdlicher Schulung der ihm bisher unterstellt gewesenen Führer und Verbände für notwendig bezeichnet und erprobt hatte, wandte er jetzt planmäßig an. So versuchte er die Infanterie trotz der Unzulänglichkeit des neu eingeführten Zündergewehrs zur bestmöglichsten Feuerdisziplin zu erziehen. Er führte in der weiteren Verfolgung der infanteristischen Schulung das Prinzip der einheitlichen Infanterie unter Abschaffung der Begriffe von schweren Grenadier-, Linien- und leichten Jägerverbänden durch und arbeitete für die Fußtruppe eine völlig neue Felddienstinstruktion aus. Auch die Kavallerie und die durch die Aufstellung eines Raketeurkorps und die Einführung von Schrapnellgeschossen vor neue Aufgaben gestellte Artillerie erhielten neue Felddienstvorschriften. Auf das einschneidendste wirkte sich jedoch die von Radetzky und seinen beiden engsten Mitarbeitern, Schönhals und Heß, verfaßte Manöverinstruktion aus. Alljährlich im Herbst begann Radetzky die Führer, den Generalquartiermeisterstab und die Truppe durch dem Gelände angepaßte Kriegsspiele in großen Verbänden zu schulen. Dadurch erhielt die Armee in Italien bald eine derartige Übung im Felddienst, daß die Radetzkymanöver von Jahr zu Jahr mehr der Sammelplatz zahlreicher Offiziersabordnungen aus allen europäischen Militärstaaten wurden.

Die dunklen Wolken, die am politischen Horizont heraufzogen, entwickelten sich inzwischen immer deutlicher zu den Vorboten eines gewaltigen Gewittersturmes. Immer kühner erhoben die italienischen Patrioten ihr Haupt. Angefeuert durch die in ganz Europa gärende Stimmung, verbunden durch geheime Gesellschaften mit den revolutionären Organisationen in Paris, Warschau und Budapest, gestärkt durch ein weitgehendes Verständnis vieler Unzufriedenen in den deutschen Ländern, verstanden sie es, den Bau der Metternichschen Ordnung in Italien planmäßig zu unterhöhlen. Der neugewählte Papst Pius IX. [232] und der Nachfolger Viktor Emanuels I. als König von Sardinien, Karl Albert selbst, erst schwärzester Reaktionär, dann von den Patrioten zum Haupt der italienischen Einigungsidee erhoben, wurden von den "Brüdern Italiens" gewonnen. Auch während des Zeitraumes, da Radetzky in Mailand längst das Kommando führte, verging kaum ein Monat, in dessen Verlauf nicht ein Sonn- oder Festtag, eine Opernaufführung, der Einzug eines neuen Bischofs oder der Tag der monatlichen Lotterieziehung schwere Zusammenstöße zwischen der Bevölkerung, der Polizei und den zu deren Hilfe eingesetzten Truppenabteilungen brachte. Gleichzeitig gärte es auch in den übrigen Provinzen des Reiches. In Galizien erhoben sich die ruthenischen Bauern gegen den polnischen Adel, in Ungarn stellte Deak die Forderungen der freiheitlichen Magyaren auf, die Tschechen meldeten zum ersten Male nationale Ansprüche, und unter der deutschen Bevölkerung brodelte und kochte es in unterbrochenen Aufwallungen.

In den Märztagen 1848 kam dann das ganze Unwetter europäischer Volksunzufriedenheit zur Entladung. Der Februaraufstand in Paris gab das Signal. Sofort beantragte der ungarische Reichstag über das Verlangen Ludwig Kossuths eine selbständige Regierung für Ungarn und eine Verfassung für Österreich. Und nun überstürzten sich die Ereignisse. Während in Preußen, in den deutschen Bundesstaaten und in Wien die revolutionäre Welle hochflutete, Metternich abdanken und als Folge seines Rücktrittes die kaiserliche Regierung eine Verfassung für die altösterreichischen Länder, aber auch für Galizien und Lombardo-Venetien zubilligen mußte, brach in Mailand am 18. Februar 1848 und damit in ganz Italien jener berühmte Aufstand der "Cinque Giornate" los, der Ströme von Blut kostete. Der Papst und auch Sardinien erklärte Österreich jetzt den Krieg, und nun sah sich Radetzky, dessen Truppenmacht in Mailand nur aus ungefähr 20 000 Mann bestand, plötzlich von allen Seiten umzingelt. Durch die undurchsichtige Haltung des Bürgermeisters von Mailand gelang es den Aufständischen, die österreichischen Behörden so lange hinzuhalten, bis die ganze lombardische Hauptstadt einem einzigen Heerlager von bewaffneten Freiheitskämpfern glich. Nur den militärischen Vorkehrungen Radetzkys war es zu danken, daß wenigstens ein Teil der zum Wachdienst abkommandierten Truppen noch rechtzeitig das befestigte Kastell zu erreichen vermochte.

Szene aus den Straßenkämpfen zu Mailand im
März 1848.
[226]      Szene aus den Straßenkämpfen zu Mailand im März 1848.
Nach einer Zeichnung von Franz Adam. (Österreichische Lichtbildstelle, Wien)

In fünftägigen blutigen Straßenkämpfen, während derer die Truppen mit beispielloser Tapferkeit sich schlugen, aber auch die ganze Volkswut über das habsburgische Polizeisystem zu spüren bekamen, schaffte sich Radetzky allmählich Luft. Weil er aber allein stand, das ganze Land sich im hellen Aufruhr befand und die Garnisonen aller [233] größeren Städte ebenfalls überfallen worden waren, beschloß er den Rückzug auf Verona, um dort Verstärkungen aus dem Innern Österreichs zu erwarten. Es war ein bitterer Weg, den die Soldaten in Durchführung des Radetzkyschen Abmarschbefehles aus Mailand jetzt als Opfer der Habsburgischen Staatspolitik antraten. Zum ersten Male in der Geschichte der Armee verweigerten kaiserliche Soldaten den Gehorsam. Siebzehn italienische Bataillone gingen zu den Aufständischen über und machten mit den italienischen Patrioten gemeinsame Sache. Doch die Parole "Wir kehren wieder!" half in diesen schweren Tagen Offizier und Mann auch über die härtesten Prüfungen hinweg. In dem Bewußtsein, daß, selbst wenn die Verstärkungen aus Österreich ausbleiben sollten, die Persönlichkeit des über alles beliebten, nunmehr schon zweiundachtzigjährigen Führers genug Unterpfand für den endgültigen Sieg bieten würde, schlug sich die kleine Armee bis zum Festungsviereck von Verona, Mantua, Peschiera und Legnago durch. Das Treffen von Goito, das Karl Albert von Sardinien einen Augenblickserfolg einbrachte, verschlimmerte indessen noch weiter Radetzky schwierige Lage. Da griffen die Tiroler zu den Waffen. Zu Tausenden sammelte sich der Landsturm des Hoferlandes an der bedrohten südlichen Grenze. Endlich rückte auch ein Hilfskorps aus dem Friaulischen über Treviso gegen Verona heran. Karl Albert von Sardinien und die Truppen der italienischen Kleinstaaten marschierten indessen über Peschiera und schickten sich zur Belagerung Veronas an. Radetzky hatte jetzt seine gesamte Streitmacht innerhalb der Festung versammelt. Ein Versuch der Aufständischen, in Tirol einzudringen, wurde blutig zurückgeschlagen. Doch als König Karl Albert jetzt zum Angriff auf Radetzky vorging, trat ihm dieser bei Santa Lucia unter den Wällen Veronas entgegen und schlug die dreifache Übermacht des Gegners in einer blutigen Schlacht. Unverzüglich griff jetzt Radetzky seinen Gegner weiter an und zersprengte bei Curtalone das vor Mantua stehende Belagerungsheer. Ein neuerlicher Rückschlag, der ihn noch ein zweites Mal bei Goito traf, ermöglichte ihm jedoch nicht den Entsatz von Peschiera. Trotzdem wandte er sich jetzt mit aller Entschiedenheit gegen die Verhandlungen der neuen Wiener Regierung mit dem Revolutionskomitee in Mailand, die die Unabhängigkeit der Lombardei anerkennen wollte. Auch die Ereignisse in Innerösterreich, die Verkündigung einer freien Verfassung durch die Wiener "Sturmpetition", die Flucht von Kaiser Franz' Nachfolger Ferdinand von Wien nach Innsbruck, vermochten den weißhaarigen Haudegen nicht zu erschüttern. Sobald sich das aus Ostvenetien anrückende Hilfskorps mit ihm vereinigt hatte, ging er unbeirrt zu weiteren Angriffen vor. In den Tagen, da sich Karl Albert [234] zum König von Italien ausrufen ließ, erstürmten Radetzkys Truppen Vicenza. Die Siege von Rivoli, Sommacampagna, Sona, Custozza, Goito und Volta folgten und brachten durch ihre Auswirkungen den Fahnen Radetzkys unvergänglichen Ruhm. In völliger Unordnung wichen jetzt die Piemontesen Karl Alberts zurück. Auch Papst Pius berief plötzlich seine Truppen ab, und nun führten österreichische Regimenter den Habsburger Leopold II. wieder nach Florenz, Franz V. nach Modena und besetzten auch Parma. Wenige Monate, nachdem er Mailand verlassen hatte, zog Radetzky als Sieger in der lombardischen Hauptstadt ein. Er war zurückgekehrt, und nun beendete ein vorläufiger Waffenstillstand die kriegerischen Ereignisse in Italien.

Gefangene Piemontesen auf dem Transport.
[226]      Gefangene Piemontesen auf dem Transport.
Lithographie nach dem eigenen Aquarell von Franz Adam. (Sammlung Handke)

Inzwischen hatte die Revolution in den übrigen Habsburgischen Ländern schwere Folgen gezeigt. Eine radikale Richtung gewann in Wien die Oberhand. Der Kaiser, der nach längerem Zögern wieder in seine Hauptstadt zurückgekehrt war, mußte sich mit seinen Truppen, die noch in blutige Straßenkämpfe verwickelt wurden, zurückziehen. In Ungarn standen inzwischen die Serben gegen die Magyarisierungsbestrebungen der Regierung Kossuth auf. Der zum Banus von Kroatien ernannte Freiherr von Jellačič sah die Rechte der Kroaten am besten von der kaiserlichen Regierung gewahrt und stellte sich mit seinen Truppen dem Fürsten Windisch-Grätz, der das revolutionäre Prag besetzt und von Aufständischen gesäubert hatte, zur Verfügung. Nach der Vereinigung der Truppen Jellačičs mit denen Windisch-Grätz' wurde Wien gestürmt. Ein blutiges Strafgericht über die Aufrührer beendete das blutige Drama in der Hauptstadt.

In diesen Tagen, da sich das Reich der Habsburger zum ersten Male aufzulösen drohte, bestieg der junge Erzherzog Franz Joseph den Kaiserthron. Auf Betreiben des zum verantwortlichen Minister ernannten Fürsten Felix Schwarzenberg dankte Ferdinand, der hilflose und geistesschwache Nachfolger Kaiser Franz I., am 2. Dezember 1848 in Olmütz ab. Erst achtzehnjährig, übernahm der jugendliche Kaiser ein Erbe, dessen Bestand nicht nur die schweren Gewitterwolken der Gegenwart umdüsterten, sondern dem auch die Zukunft gefahrvolle Erschütterungen anzukündigen schien. Nüchtern, ein lauterer, ritterlicher Charakter, war dieser Kaiser von seiner Sendung als deutscher Fürst durchdrungen. Oberstes Gesetz blieb allerdings auch ihm stets die Wahrung der Habsburgischen Hausmacht. Und die Stellung dieser Hausmacht erschien auch in den ersten Tagen seines Regierungsantrittes, wenigstens in den österreichischen Erblanden, wieder gefestigt. Dank dem Einsatz des Heeres beherrschte allerdings das aufgepflanzte Seitengewehr das Straßenbild aller Städte. Franz Joseph war sich aber gerade der ungeheuren Bedeutung der bewiesenen Zuverlässigkeit der Truppen aus [235] den altösterreichischen und kroatischen Landesteilen bewußt und beschloß daher, die Armee durch sein eigenes Vorbild noch unerschütterlicher mit den Geschicken des Thrones zu verankern. Selbst von soldatischer Denkungsart, erfüllt von einem hohen Verantwortungsbewußtsein und ein Beispiel für jeden Soldaten in seiner wahrhaft spartanischen persönlichen Lebensführung, galt das Hauptaugenmerk seiner Arbeit stets der Ausgestaltung der Wehrkraft des Völkerstaates.

Inzwischen stellte der Zar, der ein Übergreifen der Revolution auf seine Gebiete befürchtete, dem Kaiser von Österreich Truppen zur Niederwerfung der ungarischen Regierung zur Verfügung, denn in Ungarn hatten Windisch-Grätz und Jellačič einige Rückschläge erlitten. Von allen Seiten umstellt, mußte die ungarische Hauptmacht bei Villagos kapitulieren. Dreizehn ungarische Generale wurden standrechtlich erschossen. Kossuth floh ins Ausland.

Nach achtmonatigem Kampf flatterten in den Erbländern der Monarchie wieder die habsburgischen Fahnen. Österreich stand durch die brutale Anwendung der Brachialgewalt scheinbar stärker als ehedem da. Den größten Erfolg erfocht aber das Heer dem Monarchen im Feldzuge von 1849 in Italien. Dort hatte König Karl Albert von Sardinien das piemontesische Heer während des Waffenstillstandes beträchtlich vermehrt. Auch Radetzky hatte Verstärkungen herangezogen. Als dann Karl Albert, von den Patrioten gedrängt, Radetzky den Waffenstillstand aufkündigte, mußte ihm sein Abgesandter, General Cadorna, zur großen Überraschung des Königs melden, daß die Armee Radetzky die Nachricht vom Wiederbeginn der Feindseligkeiten mit ungeheurem Jubel begrüßt hätte. Nur eine kleine Besatzung ließ Radetzky jetzt in Mailand zurück. Während die Piemontesen gegen Magenta vorrücken, marschierte der greise Feldmarschall zum Scheine hinter die Adda, änderte aber dann plötzlich die Richtung, überschritt den Tessin und zog nach Pavia. Bei Mortara kam es dann zum ersten Gefecht. Durch das Eingreifen des österreichischen Obersten Benedek glückte den Truppen Radetzkys bereits hier ein bedeutender Schlag. Zwei Tage später schlug Radetzky die denkwürdige Schlacht bei Novara. Sie besiegelte den völligen Zusammenbruch des piemontesischen Heeres. Noch in der Nacht nach der Schlacht entsagte Karl Albert zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel dem Thron.

Radetzky unterhandelt mit König Viktor Emanuel von Piemont wegen des
Waffenstillstandes.
[243]      Radetzky unterhandelt mit König Viktor Emanuel von Piemont wegen des Waffenstillstandes.
Lithographie nach einer Zeichnung von Franz Adam. (Historia-Photo, Berlin)

Der Friede von Mailand vom 6. August besiegelte das vorläufige Schicksal der ersten großen italienischen Revolution. Radetzky stand noch bis zu seinem 90. Lebensjahre an der Spitze der Armee in Italien. Er trat 1857 in den Ruhestand und starb ein Jahr später. In zweiundsiebzig Dienstjahren hatte er sich um sein Vaterland zur Geschichte gewordene Verdienste erworben.

[236] Noch war aber die Zeit für die Erfüllung deutscher Sehnsucht nach dem gemeinsamen Vaterlande nicht reif. Während auf den Schlachtfeldern der Lombardei und in Ungarn noch die Waffen sprachen, meldeten die Auseinandersetzungen des in Frankfurt zusammengetretenen deutschen Parlaments bereits die große Entscheidung an, die Deutschland zwar eine erste Einigung unter der Vorherrschaft Preußens bringen sollte, die aber keine gesamtdeutsche, sondern eine kleindeutsche Lösung mit sich brachte. Bedeutsamstes Hindernis der in Frankfurt zur Debatte stehenden deutschen Reichsverfassung war die Hereinnahme der nichtdeutschen Länder Habsburgs in den deutschen Großstaat. Der § 2 dieser Verfassung mit der Bestimmung: "Kein Teil des Deutschen Reiches darf mit nichtdeutschen Ländern zu einem Staate vereinigt sein", stieß auf härtesten Widerstand der durch Schwarzenberg verkörperten Staatsbegriffe der Habsburger. Die Wiener Regierung stellte damit ihre eigenen großdeutschen Vorkämpfer auf der Frankfurter Tagung vor eine unlösbare Aufgabe. Als dann Schwarzenberg die Aufnahme des gesamten Habsburgischen Staatsverbandes in den deutschen Großstaat verlangte, war das Angebot der deutschen Kaiserkrone an König Friedrich Wilhelm IV. die Antwort. Wohl lehnte der Hohenzoller ab, aber auch Schwarzenberg berief die österreichischen Abgeordneten zurück. Österreich erhielt jetzt wieder eine auf dem Grundsatze Schwarzenbergs "Taten und nicht Rechtssätze schaffen Tatsachen!" aufgebaute, streng zentralistische Gesamtstaatsverfassung und sah sich durch die Frankfurter Beschlüsse des engeren und weiteren Bundes als Bundesstaat des weiteren Bundes aus der deutschen Mitte gedrängt. Der vom König von Preußen angestrebte Gedanke einer Festigung des engeren Bundes durch die Schaffung einer Union der nord- und mitteldeutschen Staaten führte zu einer gefährlichen Spannung mit Österreich. Schwarzenberg, der sich in Verkennung der Metternichschen Politik von Deutschlands Sendung im mitteleuropäischen Raum schon zur Niederwerfung der ungarischen Revolution der russischen Hilfe versichert hatte, bekräftigte dieses Bündnis von neuem und spielte es jetzt gegen Preußen aus. Osterreich machte mobil, und erst als Preußen, durch die Übermacht der beiden Kaiserreiche gezwungen, in der Olmützer Konferenz auf den Unionsgedanken verzichtete und die bereits angeordnete Mobilmachung widerrief, wurde der Streit beigelegt. Eine Verständigung zwischen den beiden Mächten führte dann wieder zum gemeinsamen Vorgehen in der schleswig-holsteinischen Frage. Nur von dem mit so großen Hoffnungen angestrebten Neubau des deutschen Gemeinschaftsstaates blieb kaum das Gerüst übrig. Als 1853 der Krimkrieg ausbrach und damit die Möglichkeit gegeben schien, den bereits unerträglich gewordenen russischen Ein- [237] fluß in Mitteleuropa auszuschalten, verabsäumte es Schwarzenbergs Nachfolger, Buol-Schauenstein, durch eine offene Waffenhilfe Österreichs an England, Frankreich, Sardinien und die Türkei, die russischen Expansionsgelüste auf dem Balkan ein für allemal auszuschalten. Statt dessen begnügte sich Buol mit einer kostspieligen Mobilmachung, die zuletzt 1854 zur Besetzung der Moldaufürstentümer durch Österreich führte. Da Rußland aber ohne Österreichs Beihilfe von den Weststaaten nicht aus Mitteleuropa und dem Balkan hinausgedrängt werden konnte, blieb es nach dem Züricher Frieden stark genug, um einmal Österreichs Undank für Ungarn und Olmütz nie zu vergessen, andererseits führte es aber seine panslawistische Durchdringungspolitik auf dem Balkan um so entschlossener weiter, die schließlich zu den Schüssen von Sarajevo und damit zum Untergang Habsburgs führten.

Aber noch ein anderer, allerdings vorderhand noch unvergleichlich schwächerer Staat, nahm seit dem Tage von Novara Habsburg gegenüber eine Haltung ein, die von dem unbeugsamen Willen einer Revanche und eines auf Vernichtung Österreichs zielenden Schlages bestimmt war, Piemont-Sardinien. Dort führte der ehemalige Journalist Camillo Cavour die Staatsgeschäfte. Als Verfechter des Prinzips, daß nicht Sardinien allein die Einigung Italiens herbeiführen könne, sah er die Möglichkeit der Schaffung der italienischen Unabhängigkeit nur in einem Bündnis mit dem ideenverwandten Frankreich. Aus dieser Auffassung heraus hatte auf Cavours Betreiben König Viktor Emanuel II. an Englands und Frankreichs Seite im Krimkrieg den Degen gezogen. Und nun war es an der Zeit, daß Frankreich Sardinien für diese Waffenhilfe seinen Dank in der Form einer bewaffneten Intervention zugunsten eines italienischen Königreiches abstattete. Das Signal für die neuerliche italienische Erhebung gab der Tod Radetzkys. Mit seinem Abgang schien dem kaiserlich-königlichen Heere der Nimbus der Unbesiegbarkeit genommen. Man übersah dabei in Turin allerdings nicht, daß die Armee Franz Josephs seit 1849 und 1850 eine neue und für ihre Schlagfertigkeit bedeutsame Reorganisation erfahren hatte. So war endlich mit einer grundlegenden Änderung des Rekrutierungssystems begonnen. Zur allgemeinen Wehrpflicht rang man sich allerdings noch immer nicht durch. Doch die Zusatzbestimmungen Franz Josephs zum Rekrutierungspatent vom Jahre 1827 mit der Verfügung, "daß die bisher bestandenen Rekrutierungsvorschriften dem Grundsatz der Gleichstellung aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze nicht entsprechen", weshalb die Befreiung des Adels vom Militärdienst aufgehoben wurde und die Aufhebung der Konskribierten von nun ab durch das Los erfolgte, bedeutete immerhin einen Fortschritt. Durch maßvolle Bestimmungen gelang es auch, die [238] ungarischen Linienregimenter aus den Verbänden der Revolutionshonveds wieder ihrer alten Zuverlässigkeit zuzuführen. Den einschneidendsten Umbau erfuhr das Heer in der neuerlichen Schaffung großer Reserveverbände. Man nahm den Gedanken Erzherzog Carls wieder auf und verpflichtete jeden Soldaten nach Ablauf seiner Dienstzeit zu einer zweijährigen Reservedienstpflicht. Die Landwehr wurde abgeschafft.

Auch die höheren Dienststellen erlebten in ihrem Aufbau eine grundlegende Umgestaltung. Endlich, nachdem es in so vielen Kriegen durch seine hemmende Tätigkeit eine immer wieder bekämpfte Belastung der verantwortlichen Befehlshaber gewesen war, wurde der Hofkriegsrat abgeschafft. An seine Stelle trat nun das Kriegsministerium. Als oberste militärische Behörde fungierte jedoch das Armeeoberkommando. Allerdings blieben dieser neuen Institution vorerst in der Hauptsache nur administrative Aufgaben vorbehalten. Das Schwergewicht lag in der Generaladjutantur des Kaisers und in der Zentralmilitärkanzlei. Beide Stellen waren dem Obersten Kriegsherrn unmittelbar unterstellt und vermittelten dessen Befehle an die übrigen militärischen Dienststellen.

Durch diese Neugliederung der obersten Dienststellen und die Erhöhung der Schlagkraft des Heeres im Wege der Reserveformationen erschien auch eine Neueinteilung der großen Heereskörper erforderlich. Man stellte deshalb 4 Armeekommandos mit 14 Armeekorps auf. Eine Ausnahmestellung wurde lediglich dem Banus von Kroatien mit den ihm unterstellten Streitkräften beibelassen. Die Gründung der Kriegsschule in Wien für Offiziere aller Waffengattungen galt der Heranbildung eines höheren militärischen Führerkorps, das in seiner Eignung und Durchbildung den Erfordernissen der durch die Neueinteilung der Heereskörper gewachsenen Aufgaben gerecht werden sollte. Zur gleichen Zeit wurde auch eine Flotte geschaffen.

Neuerliche innerpolitische Spannungen lähmten jedoch die restlose Verwirklichung aller für den Neuaufbau des Heeres in Aussicht genommenen Maßnahmen. Um so unbekümmerter führten die Gegner Österreichs ihre Rüstungen durch. Bis eine drohende Neujahrsansprache des auf Siegerlorbeeren erpichten Franzosenkaisers Napoleon III. die Absicht der Eroberung der Lombardei und Venetiens ganz offen zutage treten ließ. Die Antwort Österreichs war ein am 23. April 1859 an Sardinien gerichtetes Ultimatum. König Viktor Emanuel lehnte ab, und nun überschritten österreichische Truppen den Tessin. Statt nicht erst das Erscheinen französischer Truppen auf italienischem Boden abzuwarten und die Piemontesen gesondert zu schlagen, versäumte der kaiserliche Oberbefehlshaber in der Lombardei, Feldzeugmeister Graf Gyulay, die günstige Gelegenheit eines erfolgreichen Angriffes. Die Folge davon [239] war, daß starke französische Kräfte bereits die Alpen überschritten hatten, ehe die österreichischen Hauptstreitkräfte aus dem Innern der Monarchie herankamen. So sah sich Gyulay unerwartet schnell Franzosen und Piemontesen gegenüber, die ihm unter der Führung MacMahons sehr bald das Gesetz des Handelns abrangen. Am 4. Juni 1859 verlor Gyulay dank des rechtzeitigen Eingreifens MacMahons die Schlacht bei Magenta. Er mußte den Rückzug antreten und Mailand den Siegern überlassen. Kaiser Franz Joseph übernahm selbst das Oberkommando und ernannte den verdienten Kampfgenossen Radetzkys, den Feldzeugmeister Freiherrn von Heß, zum Chef des Generalstabs. Neuerlich vormarschierend, stießen jetzt die Österreicher am 24. Juni bei Solferino mit den gleich starken Franzosen und Piemontesen zusammen. In dieser Schlacht schlugen sich die österreichischen Truppen erneut mit außerordentlicher Tapferkeit. Trotzdem gelang der von Heß geplante Durchbruch des ausgedehnten feindlichen Zentrums nicht. Dafür erwies sich der bereits in der Niederwerfung des Aufstandes in Galizien und unter Radetzky hervorgetretene Feldmarschalleutnant Ludwig Benedek als erfolgreicher Führer des linken Flügels. Er warf die ihm bei San Martino gegenüberstehenden Piemontesen verlustreich zurück und führte im entscheidenden Augenblick das Debrecziner Infanterieregiment zum Siege.

Spätabends wurde die Schlacht abgebrochen. Obwohl eine eigentliche Entscheidung noch nicht gefallen war und die Schlacht am linken Flügel außerordentlich günstig stand, ließ Franz Joseph, durch die furchtbaren Verluste beeindruckt, das Signal zur Aufgabe des Kampfes geben. In voller Ordnung zog sich das österreichische Heer in das Festungsviereck zurück.

Am 11. Juli kam zu Villafranca ein Präliminarfrieden zwischen den beiden Kaiserreichen zustande, nach dessen Bestimmungen Österreich die Lombardei an Frankreich abtrat. Napoleon III. übergab die eroberte Provinz Sardinien als Gegengabe für die Anerkennung der französischen Oberhoheit über Nizza und Savoyen. Der erste Schritt zur Einigung Italiens war geschehen. Tausende österreichischer Soldaten aber hatten ihr Blut für eine aussichtslose Sache geopfert. Aussichtslos deshalb, weil sowohl die Siege Radetzkys als auch die Niederlagen von 1859 nichts anderes als Wegbereiter der italienischen Einigung waren.

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Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland
Anton Graf Bossi Fedrigotti