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Von der Revolution bis zur Dezemberverfassung (1867).

"Der Slawenkongreß in Prag bietet auf der Sophieninsel ein Schauspiel seltsamer Art. Wir fechten keinem Volke das Recht an, seine Selbständigkeit zu organisieren. Aber was mit Heuchelei beginnt, kann von uns nicht mit Großmut und Vertrauen begrüßt werden. Heuchlerisch ist es, die österreichischen Farben auszuhängen, um hinter dieser angeblichen Aufopferung für das Kaiserhaus den geheimen Plan zur Stiftung eines Slawenreiches weiter auszubrüten. Seltsam aber erscheint uns das Schauspiel jenes Slawenkongresses in doppelter Art. Wie zu einem Fastnachtsspiel kommen sie aus allen Ecken und Enden in ihren Nationaltrachten zusammen und glauben an ihrem unverstandenen und unredlichen Haß gegen Deutschland eine Grundlage zur nationalen Existenz zu haben. In Spottliedern auf Kuranda und Schuselka erledigt sich die Poesie ihrer Begeisterung. Der Russe Bakunin spricht in seinem Dialekt; kein anderer Slawe versteht ihn, alle aber schreien: Sláva, sláva! – Die Slawen haben zunächst nur sprachliche Aufgaben, wie sich denn Professor Kaubek auf dem Kongreß bemüht, die russischen Slawen zur Annahme des lateinischen Alphabets zu bewegen. Die Serben sprechen in ihrer Mundart und müssen dolmetschen lassen, was sie meinen. Palacký, zum Starosta ernannt, bittet um Gottes Willen, man solle ihm erlauben, deutsch zu reden, um sich verständlich zu machen. Wir zweifeln gar nicht, daß Palacký, der seine Bücher alle deutsch schrieb, des Deutschen mächtiger ist als des Slawischen. – Aus solcher babylonischen Sprachverwirrung will sich das große Slawenreich gestalten!"

Soweit Gustav Kühne in seinem Tagebuch über den Prager Slawenkongreß 1848. Aber aus diesem "Fastnachtsspiel" für Europa sollte bald eine Tragödie für die Deutschen werden. Bereits damals mußte Alfred Meißner, der in feurigen Jugendtagen das Herz voll tschechenfreundlicher Empfindungen den hussitischen Bandenführer Žiška in einem deutschen Heldengedicht gefeiert hatte, in einer politischen Versammlung zu Leipzig feststellen, die deutsche Sache in seiner Heimat scheine ihm verloren zu sein. Wer deutsch sei, laufe in Prag Gefahr, totgeschlagen zu werden.

Die orientalische Frage wurde gleichzeitig wirksam aufgerollt. [16] Die Walachen in Siebenbürgen und Ungarn wollten in Gemeinschaft mit den Stammesgenossen in der Walachei und Moldau ein romanisches Reich unter russischem Szepter begründen. Die Serben rüsteten, um mit Dalmatien, Kroatien, Slavonien und Syrmien, mit Bulgarien und Bosnien in einem umfassenden Groß-Serbien, zunächst unter vorläufiger Anerkennung der österreichischen Oberhoheit einem südslawischen Reich die Wege zu ebnen. Die russischen Sympathien halfen mit. Russische Agitatoren arbeiteten von Prag bis Mazedonien. Der Angriff der italienischen Flotte auf Triest mußte mit Strandbatterien zurückgeschlagen werden. In Wien und Ungarn brach die Revolution aus. Über Prag wurde der Belagerungszustand verhängt. Das Proletariat vor allem folgte gehorsam den tschechisch-radikalen Führern. Die Arbeiter von Podskal, die kein Wort deutsch sprechen und zu jedem Attentat bereit stehen, waren schon damals die Kerntruppe der tschechischen Aufwiegler. Lange wagte in Prag kein deutsches Blatt die deutsche Sache entschieden zu verfechten. Redakteur und Buchhändler liefen stündlich Gefahr, vor zertrümmerten Druckerpressen zu stehen. Die Furcht vor der rohen Gewalt der radikalen Tschechen beherrschte die öffentliche Meinung, soweit sie sich ans Licht wagte. Weder die amtliche Prager Zeitung, noch irgend ein anderes Blatt außer Ost und West hatte den Mut, dem tschechischen Pöbel in Wort und Schrift die Stirn zu bieten. Nur Ost und West erklärte sich offen gegen die Heuchelei, im Baumgarten den Deutschen heute die Hand zur Verbrüderung zu reichen und morgen die Presse eines deutschen Blattes mit hundert tobenden, brüllenden Proletariern zu umlagern. An offenen Angriffen auf der Straße fehlte es nicht. Die Behörden sahen höchst langmütig zu. Die Soldaten des Fürsten Windischgrätz schritten erst ein, als die Flammen des Aufruhrs nicht nur die Deutschen, sondern die ganze Stadt zu vernichten drohten. Zeitgenossen bemerkten sehr richtig, daß der Sieg der österreichischen Waffen deshalb der deutschen Sache noch keineswegs zugute gekommen sei. Die Deutschen Prags seien damals vielmehr in ihrer schlaffen Neutralität wie mit Feigheit gebrandmarkt dagestanden. Vom Augenblick überrascht, hatten die gutmütigen Leute vergessen, ihr Haus zu bestellen. Und an diesem Versäumnis sollten noch ihre Enkel kranken.

Die Wahlen zum Frankfurter Parlament hatten sich in Böhmen nur sehr langsam vollzogen. Die Tschechen waren ihnen von vornherein abgeneigt gewesen. Die Vertreter der Paulskirche selbst fanden bereits zu ihren Lebzeiten mehr oder [17] minder zutreffende Charakteristiken. In einem originellen Aufsatz des Tirolers Beda Weber lernen wir die österreichischen Abgesandten kennen. Mit geringer Ausnahme versinnbildlichen sie ausgezeichnet die Ratlosigkeit der österreichischen Regierung unter dem Minister von Pillersdorff, "bunt und zerrissen wie die Länder ihrer Monarchie... kleinlich und kurzsichtig wie der Prager Panslawistenkongreß mit seinen Zukunftsträumen bei wachem Zustande." Den oben erwähnten Schuselka, Verfasser des Buches Österreich im Jahr 1843 und anderer Flugschriften, lernen wir als eine im Grunde kindliche Seele kennen, talentvoller selbst als Robert Blum, der spätere Märtyrer der Freiheitssache. Moritz Hartmann, der Dichter aus Böhmen, ein anderer Parlamentarier, galt als der schönste Mann der Nationalversammlung. Aber ebensowenig wie der Begründer der Grenzboten Ignaz Kuranda, der von Beruf Journalist und Theaterkritiker war, konnte er irgendwie politische Bedeutung erringen.

Einer derjenigen, die im ersten deutschen Parlament am ehesten politischen Weitblick bekundeten und diesen auch auf Böhmen erstreckten, war der geniale General Josef von Radowitz. Seiner Gesinnung nach als Ratgeber Friedrich Wilhelms IV. Kleindeutscher, behielt er doch auch Österreich fest im Auge. Daher standen z. B. im Gegensatz zu den welschtirolischen Abgesandten die Deutschtiroler trotz ihrer unbedingten Kaisertreue zu Radowitz. Mit Feuereifer wies dieser darauf hin, von Schleswig-Holstein dürfe kein Dorf abgetreten werden. Die Hälfte von Posen preisgeben, hieße sich in einen Krieg einlassen, der Deutschland zum Felde des Zusammenstoßes der östlichen und westlichen Nachbarn mache. Das notwendige Bedürfnis könne eine große Nation nicht auf ihr Sprachgebiet beschränken. Welschtirol abtreten, hieße die Schwelle des eigenen Hauses dem Feinde überliefern. In Böhmen die sechshundertjährige Verbindung lösen, hieße die Bildung, den Fortschritt der Menschheit der rohen Naturgewalt überlassen. Der also sprach, war derselbe Mann, von dem Friedrich Wilhelm IV. den allerdings nicht befolgten Rat empfing, den konstitutionellen Weg zu gehen und sich dabei der Arbeiterklasse, der sogenannten Proletarier, gegen die Bourgeoisie anzunehmen. Radowitz sah die Entwicklung des vierten Standes ebenso wie die Bedeutung der nationalen Frage mit den Augen eines bahnbrechenden Staatsmannes voraus.

In Österreich tagte zunächst der Wiener Reichstag. Es gab daselbst eigentlich nur zwei Parteien: Deutsche und Slawen. Diese suchten vor allem den Sprachenkampf aufzunehmen. Ihr Führer [18] Palacký sprach nur selten. Desto häufiger die anderen Tschechen, wie Rieger, Trojan und Borrosch. Ebenso fanatisch, aber sehr geschickt wirkte als Agitator und Volkstribun K. Havlíček in Prag, daselbst als Redakteur der Národní Noviny tätig. Von ihm stammte die für die tschechische Politik seit 1848 bis heute charakteristische Devise: tausendmal lieber die russische Knute, als die deutsche Freiheit. Karl Havlíček unternahm Flugreisen zu den Südslawen und nach Rußland und suchte die antidynastische Panslawistenbewegung nach Kräften zu fördern. Auch war er Mitglied des Wiener Reichstags, der jedoch gleich dem Frankfurter nur kurzen Bestand hatte und keinen praktischen Erfolg erzielte.

Von Wien flüchteten die Abgeordneten nach Kremsier, um weiter zu beraten. Es kam daselbst ein Verfassungsentwurf zustande, wonach die Reichszentralgewalt von der Landesregierungsgewalt unterschieden sein sollte. Den Standpunkt der Deutschen vertrat das Referat Mayer, das – entgegen Palackýs Forderung nach der Schaffung von national einheitlichen Verwaltungsgebieten – die Königreiche und Länder bestehen ließ. Ein Paragraph für die "Reichsländer von gemischter Nationalität" bestimmte, daß Schiedsgerichte zur Entscheidung rein nationaler Angelegenheiten zusammentreten sollten. So naiv dachten damals noch die führenden deutschen Politiker.

Die österreichische Verfassungsgeschichte seit 1848 ist ein Tohuwabohu. Die bunte Musterkarte der österreichischen Verfassungsentwicklung hat mit ein paar Worten kaum jemand besser charakterisiert als der schwäbische Autodidakt, Journalist, Gelehrte und Staatsmann Albert Schäffle:

"Am 25. April 1848 wurde die erste Reichsverfassung oktroyiert und am 16. Mai desselben Jahres wieder zurückgenommen. Im darauf folgenden konstituierenden 'Reichsrat' durch seinen Verfassungsausschuß eine zweite 'Reichsverfassung'; der konstituierende Reichstag ward auseinandergejagt, ohne eine Konstitution zuwege gebracht zu haben. Am 4. März 1849 eine dritte oktroyierte 'Reichsverfassung', die gar nie zur Ausführung gelangte und am 30. Dezember wieder zurückgezogen wurde. Zugleich wurden 'organische Grundsätze' herausgegeben, welche den Absolutismus für acht Jahre statuierten. Am 5. März 1860 wurde ein 'verstärkter Reichsrat' einberufen, der eine Schattenrepräsentation darstellte. Am 20. Oktober desselben Jahres erfolgte endlich die Publikation des 'unwiderruflichen' Oktoberdiploms mit einer teilweisen Wiederherstellung der ungarischen Verfassung, der Idee eines Staatenhauses und der An- [19] deutung von Gruppenlandtagen, worauf kurz nachher einige 'Landesstatuten' herausgegeben wurden. Der 26. Februar 1861 brachte eine neue oktroyierte 'Reichsverfassung' und eine Reihe von neuen Länderstatuten. Das Manifest vom 20. September 1865 sistierte die Februarverfassung und versprach eine neue Verfassung unter Mitwirkung der Länder. Am 4. Februar 1867 wurde das September-Manifest zurückgenommen und eine neue 'Konstitution' nach Wien einberufen. In demselben Jahre wurde die ungarische Verfassung neu geregelt, und schließlich erfolgte den 21. Dezember 1867 die Publikation der... Verfassung für die übrigen Länder Sr. Majestät sowie der Bestimmungen über die Behandlung der 'gemeinsamen Angelegenheiten' unter Beibehaltung der Länderstatute vom 26. Februar 1861."

Der ruhende Pol in der politischen Erscheinungen Flucht hat, soweit wir Österreich ins Auge fassen, einen doppelten Namen, Scheu vor dem Schutt der Vergangenheit und Angst vor dem Ungewissen der Zukunft. Der Kurs verläuft in einer beständigen Zickzacklinie, auch seit 1867 bis zur Gegenwart. Es findet sich niemand, der mit dem Alten, auch wenn es sein muß mit sämtlichen historischen Überlieferungen zu brechen bereit ist, um den Völkern das einzige Heilmittel, die nationale Selbstverwaltung in der Schule und Kanzlei zu geben, den einen, den Deutschen, zum Schutz, den andern, den Tschechen, zum Trutz. Nationale Selbstverwaltung mit zentralistischer Wurzel in Wien!

Von dem Föderalismus Schäffles ist dieser Gedanke freilich weit entfernt. An eine Germanisierung oder deutsche Hegemonie Österreichs denkt heute kein verständiger Mensch mehr, die Deutschen wollen nur das Recht, in ihrer Sprache zu leben und von ihrem Gelde ihre eigenen Schulen und Ämter zu erhalten und über sie zu verfügen, keine Macht über die Tschechen, keinen Heller von den Tschechen. Wenn die Väter mehr wollten, so möge man für diesen nie erfüllten Willen nicht ihre bescheideneren Söhne bestrafen.

Übrigens wurde die Politik des Nimmersatts eigentlich von den Tschechen schon 1848 erfolgreich gespielt. Im Verfassungsausschuß des ersten Reichstags zu Wien schlossen die tschechischen Mitglieder bei der Wahl der Vertreter Böhmens die Deutschböhmen völlig aus. Die Sicherung des slawischen Übergewichts galt ihnen bereits damals als Angelpunkt ihrer Interessen.

Ich will nun kurz darzulegen versuchen, wie sich die tschechischen Ansprüche in dem ersten von mir zu behandelnden Zeitabschnitt des konstitutionellen Lebens von 1848 bis 1867 entwickelt haben.

[20] Fürst Felix Schwarzenberg (geboren 1800 zu Krummau in Böhmen) leitete als Ministerpräsident das letzte der im Laufe der Revolution berufenen Kabinette, seit dem 22. November 1848, zunächst mit dem Grafen Franz Stadion, dann mit Alexander Bach als Minister des Innern. Nach Schwarzenbergs Tod 1852 trat an seine Stelle Karl Graf Buol-Schauenstein, ihm folgte 1859 Bernhard Graf Rechberg, dann 1860 Agenor Graf Goluchowski als erster slawischer Leiter, denn die tschechischen Schwarzenberge sind erst neueren Datums. 1860 wurde Anton Ritter von Schmerling zum Staatsminister ernannt und blieb bis 1865 mit Erzherzog Rainer am Ruder. Richard Graf Belcredi leitete sodann als Ministerpräsident bis 1867 die innere Politik. Ihn löste Friedrich Ferdinand Graf Beust als "Reichskanzler" ab.

Für die böhmischen Verhältnisse besonders wichtig waren innerhalb dieser Ministerien auch noch Leo Graf Thun als Unterrichtsminister von 1849–1860, durch Unterstaatssekretär Josef Alexander Freiherrn von Helfert ersetzt; 1863 übernahm der ehemalige Prager Rechtslehrer Leopold Ritter von Hasner das Präsidium des "Unterrichtsrats", 1865 Adolf Baron Kriegsau. 1867 bekam Eduard Graf Taaffe das neugeschaffene Ministerium für Kultus und Unterricht und außerdem das Ministerium des Innern, das an die Stelle des aufgelassenen Staatsministeriums getreten war. Da die böhmische Frage vor allem eine Verwaltungs- und Schulfrage ist, erscheinen die eben genannten Männer der Geschichte gegenüber mitverantwortlich für die Entwicklung der Dinge.

Graf Stadion, Schwarzenbergs Helfer, ist der geistige Vater des Kuriensystems, wenigstens was die Landtage betrifft, die bis 1867 wichtiger waren als das Reichsparlament, bestand doch dieses zum Teil aus Abgeordneten der Einzellandtage. Das Kuriensystem hat sich in diesen bis heute noch erhalten, es entspricht das nicht demokratischer Anschauung, sondern reinen Klasseninteressen. Der Steuerzensus bildet die Grundlage für das Recht zu wählen. Großgrundbesitzer, Fabrikanten, Beamte, Adel und Bürgertum also teilen sich neben dem hohen Klerus, der über Virilstimmen verfügt, in die Macht. Solange nun die Bourgeoisie von den Wahlgesetzen bevorzugt wurde, anfangs war dies entschieden der Fall, hatten die liberalen zentralistischen Deutschen das Übergewicht über die föderalistischen kleinen Steuerzahler unter den Slawen, auch in den Sudetenländern. Mit der fortschreitenden Demokratisierung des Wahlrechts aber nahm gleichzeitig die Slawisierung des Staatswesens zu.

Graf Stadion dachte daran, die großen Kronländer zu zer- [21] schlagen, um die Reichseinheit zu begründen. Daher die große Aufregung unter den Tschechen. Ihr aus der Revolutionszeit stammender politischer Zentralverein Slovanská lípa (Slawische Linde) protestierte gegen die Auflösung des Kremsierer Reichstags, der auf die Wünsche der Nationalitäten sowie die autonomistischen Neigungen in den einzelnen Provinzen, wenn auch nicht im Sinn Palackýs und Riegers, grundsätzlich einzugehen bemüht war. Noch einmal fanden sich die beiden Volksstämme in Prag zu gemeinsamer Politik, als sie nämlich den Konstitutionalismus bedroht sahen. Wie gemäßigt aber traten damals Palackýs Staatsideen vor die Öffentlichkeit! Wie ähnlich waren sie den deutschen Forderungen von heute! Je mehr die Deutschen nachgaben, desto kecker rückten die Tschechen vor. Und von 1860 ab wurde das sogenannte böhmische Staatsrecht zum heiligen Palladium aller tschechischen Politiker.

Der bedeutendste deutsch-böhmische Parlamentarier aus den Anfängen des Verfassungslebens, Ludwig Löhner, hat übrigens vor Palacký die Idee der nationalen Autonomie gestaltet. Aber in den Stürmen des Revolutionsjahres ging sein Plan wirkungslos unter.

Palacký besaß in dem Prager Advokaten Pinkas, dem Schwiegervater Anton Springers, einen einflußreichen Nebenbuhler. Ja, dieser Historiker, der in seinem Leben die wunderlichsten Wandlungen durchgemacht hat und sich nur in einem gleich blieb, in seinem Haß gegen das Haus Österreich, trat, von Pinkas dazu bewogen, an die Spitze eines Tschechenblattes, der Union, deren gehässige Tendenzen heute noch in der ebenso benannten Erbin der Prager Politik weiterblühen. Springer ist einer der wenigen Tschechen, die für die preußische Vorherrschaft in Deutschland eingetreten sind, freilich unter der Voraussetzung, Preußen möge deshalb an die Spitze Deutschlands treten, damit die Slawen in Österreich ungeniert regieren können.

Die innere Amtssprache war und blieb zunächst deutsch. Dagegen konnten die Parteien außer in deutscher Sprache auch in ihrer Muttersprache die Urteile der Gerichte ausgefolgt erhalten. Die Leiter des Unterrichtswesens Thun und Helfert begünstigten die tschechische Sprache, wo sie es konnten. Johann Kollár, der reformierte tschechische Dichter, wurde 1849 zum Professor an der Universität Wien ernannt, trotz der katholischen Gesinnung des Unterrichtsministers, eben weil er Tscheche war. Unter Thun nahm die Slawisierung der Schulen in Böhmen und Galizien ihren Anfang.

[22] In den fünfziger Jahren vollzog sich in Böhmen langsam, aber nachhaltig die völlige Scheidung in zwei nationale Lager. Im Januar 1861 fanden sich die feudalen und liberalen Tschechen auf der Grundlage des "böhmischen Staatsrechts". Und 1862 gründeten die Deutschen das Prager "Deutsche Kasino", das bald 2000 Mitglieder zählte. An der Spitze stand zu Beginn der klardenkende, sympathische und durchaus rechtliche Advokat Franz Schmeykal, dem nach seinem Tod 1894 Josef Bendel ein biographisch-politisches Denkmal errichtet hat.

Hatte das österreichische Oktoberdiplom von 1860 die Autonomie der Kronländer mit den Forderungen des Gesamtstaats zu vereinigen gesucht, so suchte das Februarpatent von 1861 im entgegengesetzten Sinn den zentralistischen Ansichten Rechnung zu tragen. Gegen diesen "verderblichen" Akt bäumten sich die Tschechen auf und antworteten mit einem unversöhnlichen: "Nedejme se!" (Ergeben wir uns nicht!)

Der böhmische Landtag trat zusammen. Statthalter Graf Forgach leitete die Session mit einer tschechischen Rede ein. Der Landmarschall Graf Nostitz entschuldigte sich in seiner Begrüßung, daß er des Tschechischen nicht mächtig sei. Kardinal Schwarzenberg regte eine Adresse an, in der man den Kaiser bat, sich zum König von Böhmen krönen zu lassen. Palacký wurde ins Herrenhaus berufen. Und im mährischen Landtag hielt Alois von Pražák die erste tschechische Rede. Nur nach einer staatsrechtlichen Verwahrung fanden sich die Tschechen bereit, aus dem böhmischen Landtag die Wahlen für das Wiener Parlament vorzunehmen und dieses durch Delegierte zu beschicken. Rieger erklärte: "Wir wollen das Wappen des Königreiches Böhmen." Demgegenüber rief der Deutsche Andreas von Haase: "Auf unserer Fahne steht das Wappen Gesamtösterreichs. Für das treten wir ein und unser Wahlspruch ist: Großösterreich." Es zeigte sich schon damals klar und deutlich, wo die wahrhaft staatserhaltenden Elemente zu suchen sind. Und in der Tat verließen die Tschechen schon 1863 den Reichsrat. Palacký zog sich vom Herrenhaus zurück. Die tschechischen "Deklaranten" gaben eine Erklärung ab, wonach die Februarverfassung das geschichtliche Recht Böhmens verletze und ihr Volksstamm durch die Wahlordnung verkürzt werde.

Was ist das böhmische Staatsrecht? Eine Fiktion, um mit dem Jungtschechen Eduard Grégr zu reden, "keine Pfeife Tabak wert". Im Mittelalter standen die Länder Böhmen, Mähren, Schlesien und die Lausitz zeitweilig in Personalunion. Aber auch andere Länder waren so vereinigt. Und seit dem Unter- [23] gang der Přemysliden, denen es gelungen war, Mähren enger mit Böhmen zu verbinden, suchte Mähren immer und immer wieder seine ursprüngliche Sonderstellung durchzusetzen. Am entschiedensten kam sie zur Zeit Rudolfs II. zur Geltung. Damals sprach der mährische Landeshauptmann Karl von Zierotin das gewichtige Wort: "Sie (die Böhmen) wollen stets der Kopf sein und uns als Schleppe behandeln." Mährens und Schlesiens Landtagswesen entwickelte sich immer selbständiger. Mähren und Schlesien gaben ihre besondere Zustimmung zur pragmatischen Sanktion, die der Kaiser 1720 dem "Erb-Marggraffthumb" kundmachen ließ.

Aus dem Verhältnis Böhmens zum Deutschen Reich ist jedoch das Staatsrecht ebensowenig zu begründen. Auch das Verhältnis der Stände zur Dynastie ergibt keinen unanfechtbaren Anhaltspunkt. Jedenfalls haben die böhmischen Rebellen, die in der Schlacht auf dem Weißen Berg niedergerungen wurden, 1620 auch das letzte Scheinrecht eingebüßt. Die unwiderlegbarste Urkunde verjährt im Lauf der Zeiten; wie erst, wenn keine existiert? Das böhmische Staatsrecht hat etwa dieselbe rechtliche Grundlage wie der legendäre serbische Anspruch auf Bosnien.

Dieses böhmische Staatsrecht nun ist seit den sechziger Jahren bis heute ein beständiger Artikel im Programm aller tschechischen Parteigruppen. Aber mit dieser Forderung begnügte man sich nicht. 1864 arbeiteten die Tschechen ein Sprachenzwanggesetz aus, demzufolge jeder deutsche Mittelschüler in Böhmen die tschechische Sprache erlernen müsse. Leider verhinderte Schmerling, daß es sanktioniert wurde. Denn hätten die Deutschen rechtzeitig Tschechisch gelernt, so wäre es unmöglich gewesen, sie so aus dem öffentlichen Leben Böhmens auszuschalten, wie es heute der Fall ist. Ein anderer tschechischer Vorschlag wurde sofort verwirklicht. Er betraf die Tschechisierung der Prager Universität, die dann endlich 1881 in eine deutsche und eine tschechische geteilt wurde. Ihr weiterer Leidensweg wird später zu behandeln sein.

1865 wurde die Verfassung sistiert, 1866 die Schlacht bei Königgrätz verloren. Damit schied Österreich aus dem deutschen Bund aus. Nicht mehr konnte Kaiser Franz Josef wie ehedem von sich sagen: "Ich bin ein deutscher Fürst". Österreich war darauf angewiesen, ein besonderes polyglottes Staatswesen zu bilden. Die deutsche Führung war ein für allemal eine Unmöglichkeit und wurde denn auch selbst von den starrsten Doktrinären aufgegeben. Nun galt es nur mehr zu schützen und zu retten, was noch zu schützen und zu retten war.

Adolf Fischhof, der gescheite kärntner jüdische Advokat, und [24] Ladislaus Rieger, richteten fast gleichzeitig an die deutschen Autonomisten die Aufforderung, den günstigen Augenblick zu benutzen und die Neuordnung der Verhältnisse Österreichs, an der alle Völker gleich beteiligt seien, in die Wege zu leiten. Die Tschechen dachten sich diese Neuordnung freilich so, daß neben Ungarn auch das dreieinige Königreich der Wenzelskrone seinen Platz fände. Das aber wollte das damalige Kabinett Belcredi nicht, und so wurde es nicht bloß von den Deutschliberalen, die wegen der sistierten Verfassung grollten, sondern auch von den Tschechen auf das heftigste angefeindet. Unter diesen begann eine junge lebenskräftige Partei die lebhafteren Geister an sich zu reißen. Julius Grégr, der Herausgeber der neubegründeten Národní Listy trat an die Spitze der Bewegung gegen Palacký und Rieger. Man nannte sie zum Unterschied von der alttschechischen Partei die jungtschechische. Sie war durchaus national-liberal im radikalsten Sinne, hussitisch.

Im April 1867 veranstalteten die österreichischen Slawen mit Ausnahme der Polen einen Pilgerzug nach Moskau, wo anläßlich der ethnographischen Ausstellung ein Slawenkongreß unter Leitung der Panslawistischen Gesellschaft stattfand. Offen huldigte Rieger den Russen. "Es beginnt für euch die Offensive," rief er diese an, "euch kommt es zu, die Südslawen zu befreien, damit der Slawe nicht länger unter türkischem Joche seufzt". Und "Prag bereitet die slawische Zukunftsidee vor und wir, seine hier versammelten Kinder, bringen diese Idee aus Prag nach der Mutterstadt Moskau." In Böhmen wiederholten sich die Kundgebungen. Man agitierte, allerdings erfolglos, für die Kenntnis der russischen Sprache und den Übertritt zum orthodoxen Glauben. Auch der russischen Kirche in Prag hat diese künstliche Propaganda nicht auf die Beine geholfen. Am 2. September 1869 wurde an Hussens Wohnhaus in Prag auf dem Betlehemplatz eine Gedenktafel feierlich enthüllt. Der Prager Gemeinderat beschloß, die benachbarte Dominikanergasse in Husstraße umzutaufen. Straßenexzesse gegen die Deutschen begleiteten die neuen tschechischen Religionsübungen. Vor dem Polizeigebäude wurden Petarden geworfen. Die späteren alldeutschen Parteigänger, die nach Friedrichsruh pilgerten und die Los-von-Rom-Bewegung propagierten, taten nichts Schlimmeres. Baronisiert wurde deshalb keiner und ins Herrenhaus berufen ebensowenig. Ladislaus Rieger aber wurde auf Veranlassung eines k. k. Ministeriums Freiherr und lebenslängliches Mitglied des Herrenhauses. Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe!







Die Deutschen in Österreich
und ihr Ausgleich mit den Tschechen

Dr. Wilhelm Kosch