SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 1: Die Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum Kriegsende
  (Forts.)

Generalleutnant Max Schwarte

2. Die ersten Entschlüsse der neuen Obersten Heeresleitung.

Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung forderte eine Änderung der Befehlsverhältnisse. Den Oberbefehl an der Ostfront übernahm Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern; zu ihm trat der bisherige 1. Generalstabsoffizier des Oberbefehlshabers Ost, Oberst Hoffmann, als Generalstabschef. Die rumänische Kriegserklärung forderte weitere Änderungen. Die Brussilow-Offensive hatte schon erneut gebieterisch die Notwendigkeit einer einzigen Kriegsleitung gezeigt. Sicherlich hat auch General v. Conrad deren Vorteile klar erkannt. Aber die Sorge um eine Minderung des "Prestiges" der k. u. k. Armee hinderte ihn, das anzuerkennen. So erreichte General v. Falkenhayn die Einheitlichkeit damals nicht, sondern nur die Erweiterung der Befehlsgewalt von Oberost um die beiden Heeresgruppen Woyrsch und Linsingen. Jetzt, nach der Kriegserklärung Rumäniens, wurde eine weitere Ausdehnung vereinbart: um die Heeresgruppe Boehm-Ermolli und die deutsche Südarmee, so daß Prinz Leopold von Bayern über die ungeheure Front von den Karpathen bis zum Ostseestrande befahl. - Dem Erzherzog-Thronfolger Karl verblieben die k. u. k. 7. und 1. Armee und die neue 9. Armee. Zur Sicherung der reibungslosen Zusammenarbeit aller im Osten kämpfenden Verbände trat ihm General v. Seeckt als Generalstabschef zur Seite. Die k. u. k. Heeresleitung und Erzherzog Karl fügten sich dieser Maßregel nur, weil sie sich von der deutschen Obersten Heeresleitung völlig abhängig wußten; sie ertrugen diese Abhängigkeit nur widerwillig.

Unmittelbar unter der Obersten Heeresleitung blieb Feldmarschall v. Mackensen an der Donau- und Schwarzen-Meer-Front gegen Rumänien sowie General Otto v. Below an der Südfront Bulgariens gegen die Orient-Armee in Saloniki; beide hatten deutsche und bulgarische Divisionen unter sich.

Auch im Westen hatten die Ereignisse eine andere Gliederung notwendig gemacht:

  • in der neugebildeten Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern wurden die 6., 2., 1. und 7. Armee,
  • in der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz die 3. und 5. Armee sowie die Armee-Abteilungen v. Strantz, A und B zusammengefaßt.

Unmittelbar unter der Obersten Heeresleitung verblieb die 4. Armee an der See- und Yser-Front.

[6] Die Heeresgruppen besaßen in sich nunmehr die Möglichkeit, ihre Kräfte zu verteilen und sich selbst Reserven zu schaffen. Allerdings mußte - entgegen der ursprünglichen Absicht - gerade auf diese die Oberste Heeresleitung zunächst zurückgreifen, um die Armeen gegen Rumänien aufstellen zu können.

Als die im Winter einlaufenden Nachrichten die Absichten der Entente und die Grenzen der voraussichtlichen Kampfgebiete erkennen ließen, wurden dem die Grenzen der Heeresgruppen angepaßt:

Die 4. Armee trat zur Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, deren Kampffront nach Westen gerichtet war. - Die 7. Armee, am Bruchpunkt der Front, trat zur Heeresgruppe Deutscher Kronprinz, die mit südwestwärts gerichteter Front bis über Verdun hinaus reichte. Die drei Armee-Abteilungen bildeten unter dem Herzog Albrecht von Württemberg anschließend eine neue Heeresgruppe bis zur Schweizer Grenze mit der Front nach Westen. Der Deutsche Kronprinz, der bis dahin auch die Führung der ihm unterstellten 5. Armee beibehalten hatte, wurde davon entbunden.

Diese Neugliederung war eine Folge der Besprechungen gelegentlich der ersten Orientierungsreise der beiden neuen Leiter der Operationen nach dem Westen. Erst jetzt gewannen sie auch ein richtiges Bild von dem furchtbaren Ernst der Lage aus den Auskünften der Führer und Stabschefs der Heeresgruppen und Armeen und aus ihren Forderungen, um den Ansturm der Entente abwehren zu können. Feldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff erkannten die Notwendigkeit ausreichender Hilfe, aber sie mußte erst geschaffen werden. - Aus der Erkenntnis der furchtbaren Spannung entsprang auch der verständliche Wunsch, selbst dieser Front nahe zu sein. Eine sofortige Zurückverlegung des Großen Hauptquartiers nach Charleville kam allerdings zunächst nicht in Frage, da die Operationen gegen Rumänien zum Bleiben in Pleß, in der unmittelbaren Nähe des k. u. k. Oberkommandos in Teschen, zwangen. Das Große Hauptquartier wurde aber in Pleß und Umgegend wieder vereinigt.

Zur Gewinnung einer stärkeren Ausstattung des Heeres mit Kampfmitteln (Geschützen, Munition, Flugzeugen, Ballonen, Maschinengewehren, Gaskampfmitteln usw.) trat die Oberste Heeresleitung in Verhandlungen mit dem Kriegsministerium und leitenden Männern der Industrie. Hilfe war aber erst im Jahre 1917 zu erwarten. - Auch ordnete sie sofort die Auswertung der taktischen Kampferfahrungen für die eigenen Truppen an. Für die Ausbildung im kommenden Winter mußte sie in Vorschriften und Anleitungen niedergelegt sein. - Aber eine dringend notwendige taktische Maßnahme suchte sie sofort zu erreichen: die schnellere Ablösung abgekämpfter Divisionen aus der Kampffront durch frische Divisionen, zunächst durch die Reserven der Heeresgruppen unter rücksichtslos durchgeführter Streckung der Kräfte auf nicht bedrohten Frontstellen. Und auch für die Oberste Heeresleitung war es eine ihrer Hauptauf- [7] gaben in den nächsten Monaten, stets über Reserven zu verfügen, um sie an die bedrohtesten Stellen abzugeben. Eine planmäßige Regelung des Wechsels verhinderten allerdings die dauernden Angriffe.

Auf allen Kampffronten griff die Entente an: an der Somme, bei Verdun, in Oberitalien, an der bulgarischen Front. Rückschläge traten ein, Geländestrecken gingen verloren; aber die Fronten mußten halten, um Rumänien zu erledigen. Am gefährlichsten war das Versagen und Weichen der k. u. k. 7. Armee in den Südkarpathen, die das Abdrehen und den Einsatz deutscher Divisionen erforderte, die gegen Rumänien bestimmt waren. Dadurch verzögerte sich der Angriff gegen Rumänien, und erneut mußten Divisionen der Ostfront entnommen werden. Aber ein russischer Erfolg gegen die k. u. k. 7. Armee hätte die gesamte Ostfront vom rechten Flügel aus und die Offensive gegen Rumänien im Rücken aufs äußerste gefährdet.

Erst nach Festigung der Front der k. u. k. 7. Armee konnte die Oberste Heeresleitung den Aufmarsch gegen die nach Siebenbürgen eingedrungenen rumänischen Korps durchführen. Langsam kam infolge des außerordentlich mangelhaften Bahnnetzes in Siebenbürgen der Aufmarsch zum Abschluß. Die Abwehr des rumänischen Angriffs konnte beginnen.

Die nach Petroseny vorgedrungenen rumänischen Verbände wurden ins Gebirge zurückgeworfen, die Gebirgsstraßen gesperrt und damit die Vorbedingung für einen umfassenden Angriff gegen die bei Hermannstadt stehenden Kräfte gegeben. Nach einer vernichtenden Niederlage der Rumänen hier und einer weiteren schweren Niederlage bei Kronstadt hatte mit dem Zurückwerfen aller rumänischen Truppen in die Transilvanischen Alpen General v. Falkenhayn die Befreiung Siebenbürgens erreicht. - Gleichzeitig hatte Feldmarschall v. Mackensen mit der 3. bulgarischen Armee die in der Dobrudscha stehenden rumänischen Kräfte angegriffen und bis dicht an die Eisenbahn Tschernawoda - Constanza geworfen und eine in seinem Rücken über die Donau gegangene rumänische Division vernichtet.

Um die Einheitlichkeit der Operationen nördlich und südlich der Donau zu sichern, behielt die Oberste Heeresleitung auch weiterhin die Leitung in der Hand. In ihren Entschlüssen war sie allerdings durch örtliche und zeitliche Verhältnisse gebunden. Die Pässe durch die Transilvanischen Alpen waren nicht nur von starken feindlichen Kräften gesperrt, sondern voraussichtlich binnen kurzer Zeit auch durch den nahenden Winter. Im Süden war die Donau ein bei feindlichem Widerstand schwer überschreitbares Hindernis. Aus den bisherigen Kämpfen der 9. Armee ergab sich, daß südlich und südöstlich Kronstadt ein Durchbrechen der Gebirgsfront nicht zu erreichen sein würde. Auch das Vordringen Mackensens war nicht bis zur beabsichtigten Sicherungslinie gelangt. Damit aber wurde die den stärksten Erfolg, die Vernichtung des rumänischen Heeres versprechende Operation unmöglich; das hätte nur ein konzentrischer [8] Vormarsch der inneren Flügel der Armeen weit ostwärts in Richtung auf den Unterlauf des Sereth ermöglicht.

Die Oberste Heeresleitung gab zwar der Donau-Armee durch frische Kräfte (217. Division) einen neuen Anstoß; aber er reichte nicht aus, um das unterste Stück der Donau zu gewinnen. Vor allem jedoch scheiterte die Absicht der Umfassung des rumänischen Heeres daran, daß die k. u. k. 1. Armee keine Fortschritte im Gebirge machte.

So mußte sich die Oberste Heeresleitung auf das erreichbare kleinere Ziel beschränken: auf das konzentrische Vordringen der 9. und der Donau-Armee aus weiter westlich gelegenen Ausgangsräumen in Richtung Bukarest. Auch dazu waren Verstärkungen nötig; nochmals mußte sie Kräfte aus den übrigen Fronten herausziehen und gegen Rumänien nachschieben. Die Bahnverhältnisse zwangen dazu, auf eine Verstärkung Mackensens zu verzichten; sie wurden der 9. Armee zugeführt. Damit mußte diese bei den beginnenden Bewegungen die Vorhand übernehmen, bevor Mackensen den Donau-Übergang begann.

Der erste Versuch der 9. Armee, die Transilvanischen Alpen zu durchbrechen, erfolgte Mitte Oktober am Szurduk- und Vulkanpaß, brachte die Pässe in deutsche Hand, scheiterte dann aber unter den sehr ungünstigen Witterungsverhältnissen und der unzureichenden Vorbereitung, besonders der Ausrüstung der Truppen; die Verbände mußten bis auf die Kammlinie zurückgenommen werden. Nach dem Eintreffen von Verstärkungen und Gebirgsausrüstung setzte die 9. Armee aufs neue zum Angriff an. Ihr Hauptstoß richtete sich wieder gegen den Szurduk- und den Vulkanpaß und hatte Erfolg; Mitte November wurde der Austritt in die wallachische Ebene erreicht, bevor die feindlichen Divisionen herangeführt waren. Nach der Schlacht bei Turgu Jiu sollte durch sofortige energische Verfolgung der Donau-Armee das Überschreiten des Stromes ermöglicht und zugleich die die östlichen Paßstraßen zäh verteidigenden Rumänen im Rücken bedroht werden. Am 23. November wurde der Alt erreicht, am gleichen Tage überschritt die Donau-Armee bei Simnitza die Donau.

Der von der Obersten Heeresleitung angeordnete weitere Vormarsch beider Armeen auf Bukarest mußte deren innere Flügel zusammenführen; dann sollte die 9. Armee aus der Heeresgruppe Erzherzog Karl ausscheiden und unter den Befehl Mackensens treten. Doch mußte vorher eine schwere Krisis überwunden werden; durch Aufhalten der 9. Armee gelang es den Rumänen, südlich Bukarest überraschend einen umfassenden Angriff gegen den noch offenen Flügel der Donau-Armee zu führen. Eine türkische Division und das Kavallerie-Korps Graf Schmettow konnten aber den Gegner aufhalten, bis der rechte Flügel der 9. Armee die gegnerische Umfassung im Rücken bedrohte und zum Rückzug zwang. Am 6. Dezember fiel Bukarest kampflos in deutsche Hand. Der Masse des rumänischen Heeres aber war der Rückzug geglückt.

Die gewaltigen Anstrengungen hatten die deutschen Truppen auf das [9] äußerste ermüdet; das schlechte Verkehrsnetz machte ihre Verbindungen außerordentlich schwierig. Trotzdem mußte die Front noch weiter in eine kürzere, zur Dauerstellung geeignete Linie vorgetrieben werden. Die Oberste Heeresleitung wies deshalb Feldmarschall v. Mackensen an, bis zur unteren Donau, dem unteren Sereth und dem Trotus vorzudringen, dort die Dauerstellung zu beziehen und sofort alle Maßnahmen zu treffen, um die Hilfsquellen der Wallachei für die notleidende Heimat zu erschließen.

Feldmarschall v. Mackensen hatte noch schwere Kämpfe vor Erreichen seines Zieles zu bestehen. Die Russen führten erhebliche Verstärkungen den Rumänen zu und erneuerten nochmals ihre Angriffe in den Karpathen. Nur unter schweren Frontalschlachten, die um Weihnachten ihre Höhe erreichten, und dauernd wachsendem Widerstand kam v. Mackensen vorwärts; erst im Januar erreichte er annähernd die ihm bezeichnete Stellung.

Jetzt waren die deutschen Truppen am Ende ihrer Kraft. Das ursprüngliche Ziel der Obersten Heeresleitung war nicht erreicht, die rumänische Armee nicht vernichtet. Aber die durch Rumäniens Eintritt in den Krieg entstandene schwere Krisis war überwunden.

Das Absterben der französischen und englischen Angriffe an der Westfront, der Russen im Osten zeigten, daß auch die Ententemächte erschöpft waren.

Die Abwicklung der im August übernommenen Aufgabe hatte zu keinem guten, aber doch zu einem besseren Abschluß geführt, als es die neue, dritte Oberste Heeresleitung hatte erhoffen können. Jetzt endlich war sie imstande, eigene Entschlüsse zu fassen, soweit die ganze politische, militärische und wirtschaftliche Lage ihr dazu überhaupt die Freiheit ließ.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte