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[605] XVII. Die Organisationen für den österreichisch-deutschen Zusammenschluß
Generaldirektor Dr. Ing. Hermann Neubacher (Wien)

Entstehung der organisierten Anschlußbewegung • Die französisch-belgische Presse und die Entwicklung der Anschlußbewegung • Die Bewegung für den Zusammenschluß ist vor allem eine österreichische Bewegung • Die Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft • Die Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft • Der Österreichisch-deutsche Volksbund Berlin • Der Österreichisch-deutsche Volksbund Wien • Die Delegation für den österreichisch-deutschen Wirtschaftszusammenschluß.

Ein kurzer Überblick über die Geschichte des bisherigen Kampfes um den deutsch-österreichischen Zusammenschluß und über die Wandlungen des Zusammenschlußgedankens sowohl im politischen und wirtschaftlichen Denken der Deutschen im Reich und in Österreich als auch der öffentlichen Meinung Europas ist für das Verstehen des Werdens und der Wirksamkeit der sogenannten "Anschluß-Organisationen" wohl unentbehrlich.

Der Gedanke des deutsch-österreichischen Zusammenschlusses ist heute zwölf Jahre alt; die Geschichte der Anschlußbewegung fällt in eine der wechselvollsten und schmerzlichsten Epochen Europas, die Erfüllung der Zusammenschlußforderung wird unweigerlich mit der Selbstbesinnung des neuen Europa kommen. Wir stehen unmittelbar vor dieser Selbstbesinnung der ihre zwangsläufige Solidarität langsam erkennenden Europäer – oder: dieses Europa hat – ohne daß der Geist der Geschichte zwischen Siegern und Besiegten unterscheiden wird – seine Weltstellung dem fernen Osten und Westen, Rußland, Asien und Amerika als Kampfpreis abzutreten.

Die machtpolitische Verhinderung der Ausübung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes der Deutschen Österreichs ist von 1918 bis heute die trostloseste Erscheinung in unserer schwer bedrohten alten Welt. Mit der machtpolitischen Verhinderung des deutsch-österreichischen Zusammenschlusses beginnt die Geschichte der organisierten Anschlußbewegung.

Als das große Unheil über die sogenannten Zentralmächte hereinbrach und die Österreichisch-ungarische Monarchie von nicht über- [606] mäßig großen Europäern des Westens liquidiert wurde – "der Rest heißt Österreich" –, war der deutsch-österreichische Zusammenschluß im Reich und noch viel mehr in Deutschösterreich eine Selbstverständlichkeit, – es war der Blitzschlag der Katastrophe, der die Gehirne erleuchtete. Der Zusammenschluß wurde durch die Friedensverträge gewalttätig verhindert.

Dann kommen für das Reich und Deutschösterreich die Jahre des wirtschaftlichen Zusammenbruches, der Inflation, der erschütternden wirtschaftlichen und politischen Krisen. In diesem zweiten Abschnitte der Geschichte des Zusammenschlusses, der alle wirtschaftliche und politische Sorge für die Not des Tages, ja der Stunde in Anspruch nahm und das Denken in Zeit und Raum einengte, wurde es recht stille um die größte nationale Sache der Deutschen.

Der dritte Abschnitt beginnt um das Jahr 1925. Die wirtschaftlichen Maßstäbe, im Chaos der Inflation und der Sanierungskrisen verlorengegangen, kehrten wieder, das wirtschaftliche und politische Denken wurde über das individuell-lokale hinaus wieder allgemein-geographisch. Die Auseinandersetzung über die Anschlußfrage, die Anschlußbewegung setzte lebhaft ein, die Zusammenschlußforderung wird, programmatisch begründet und organisiert, ein wichtiger Faktor im politischen Denken aller europäischen Kabinette. Die machtvollen Kundgebungen für Großdeutschland erreichen im Jahre 1928 (Deutsches Sängerbundfest, Wien) einen Höhepunkt. Eine monatelange internationale Pressediskussion über die damaligen Kundgebungen der deutschen Sänger und des österreichisch-deutschen Volksbundes Wien leitet einen neuen Abschnitt der Geschichte der Anschlußbewegung ein, der durch eine erfolgreiche Angleichungsarbeit im Innern (Großdeutschland) und mühsam errungene neueuropäische Erkenntnisse über die Dringlichkeit eines wirtschaftlich geschlossenen Europa gekennzeichnet ist, in welchem der deutsch-österreichische Zusammenschluß allmählich als natürlicher Beginn erscheinen muß.


Solange die Weltmeinung nicht durch wohlorganisierte überparteiliche Volkskundgebungen in Österreich aufgerufen wurde – von 1918 bis 1925, mit Ausnahme der durch Hungerdrohung der alliierten Mächte unterbrochenen Länderabstimmungen in Österreich im Jahre 1921 –, begnügte sich die westliche, insbesondere französische Presse [607] damit, die Existenz einer österreichischen Anschlußbewegung zu leugnen. Gelegentliche politische Kundgebungen wurden, wenn sie von nationaler Seite kamen, als Äußerungen unbedeutender "pangermanistischer Grüppchen", wenn sie von sozialdemokratischer Seite kamen, als Oppositionsmanöver gegen die christlichsoziale Regierung abgetan. Reichsdeutsche Äußerungen für den Zusammenschluß wurden als Annexionsdrohungen angeprangert, gegen die das notorisch preußenfeindliche Österreich zu schützen sei. Daß Österreich von einem Anschluß an das Reich nichts wissen wolle, war die stets wiederkehrende Behauptung der französisch-belgischen Presse bis zum Hervortreten der "Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft" und des "Österreichisch-deutschen Volksbundes Wien" im Jahre 1925. Das starke Auftreten der organisierten Anschlußbewegung in Österreich verursachte in der öffentlichen Meinung Europas eine gewaltige Aufregung. Frankreich entdeckte die "Latinität" der österreichischen Seele, verlangte für Österreich Hilfe, warnte, pries unsere Lebensfähigkeit, drohte mit Krieg; in dem aufgeregt protestierenden Dr. Benesch und seiner tschechischen Presse erwuchs ihm ein rabiater Sekundant. Briand wollte die 10% Österreicher, die sogar nach seiner Meinung gegen den Zusammenschluß sein könnten, gegen die sicheren 90% Selbstmörder retten (1929); Benesch rechnete uns durch Abzählen der Signatarmächte von Versailles und St. Germain die Anzahl der unvermeidlichen Kriegserklärungen vor. Zahllose europäische Pressestimmen – darunter auch französische – traten unter dem Eindrucke leidenschaftlicher österreichischer Volkskundgebungen für das österreichische Selbstbestimmungsrecht ein. In der Weltmeinung über die österreichische Forderung nach Zusammenschluß mit dem Deutschen Reiche ist seit 1918 eine gewaltige Wandlung eingetreten: die organisierte Bewegung für den deutsch-österreichischen Zusammenschluß in Österreich und im Reiche hat diese geschichtliche bedeutsame Wandlung erkämpft.

Die Bewegung für den deutsch-österreichischen Zusammenschluß ist vor allem eine österreichische Bewegung, die – ganz im Gegensatze zur beliebten französischen Annexionsthese – nicht vom Reich aus in Gang gehalten wird, sondern im Reich um Zustimmung, Anhang und realpolitische Inangriffnahme wirbt. Diese nie genug zu betonende Tatsache findet schon im Aufbau der großen Organisationen, des Österreichisch-deutschen Volksbundes Berlin und Wien, seinen überaus bezeichnenden Ausdruck. Der Volksbund im Reiche verdankt [608] vornehmlich im Reiche lebenden Österreichern seine Entstehung, seine Untergruppen sind hauptsächlich landsmannschaftliche Österreichervereine in Schlesien, Mittel- und Westdeutschland. Die österreichische Volksbundorganisation paßt sich der verfassungsmäßigen Gliederung des österreichischen Bundesstaates an und erfaßt planmäßig die Berufsorganisationen aller politischen Richtungen. Für das Organ der Reichsorganisationen, Österreich-Deutschland, ist die Propaganda österreichischer Stammeseigenart, Baukunst und Literatur besonders charakteristisch, ebenso das Eintreten für eine Inländerbehandlung der im Reiche lebenden Österreicher; die Zeitschrift der österreichischen Organisation Der Anschluß stellt die tagespolitischen und wirtschaftlichen Fragen in den Vordergrund, nimmt zu allen irgendwie belangreichen Auslandsstimmen Stellung und dient in besonderem Maße der Auslandspropaganda.

Was nun die "Arbeitsgemeinschaften" anbelangt, deren Betätigung weniger propagandistischer als vielmehr wissenschaftlicher Natur ist, so hat diese Bewegung in Österreich ihren Ausgang genommen. Die "Arbeitsgemeinschaft" im Reich ist erheblich später als notwendige Korrespondenzstelle für die Auseinandersetzung über die vielgestaltigen Probleme der Angleichung entstanden. Die "Delegation für den österreichisch-deutschen Wirtschaftszusammenschluß" in Wien hat – leider – auch heute noch keine reichsdeutsche Gegenstelle ähnlichen Aufbaues.

Der in der französischen Presse ständig wiederkehrenden Redensart von der reichsdeutschen Anschlußpropaganda in Österreich können wir nur in aller Sachlichkeit entgegenhalten: Die organisierte Zusammenschlußbewegung ist vor allem eine österreichische Bewegung, die – oft genug mit Ungeduld – im Reiche um tatkräftiges Verständnis wirbt; diese Bewegung wäre in ihrer Kraft und Zuversicht unvorstellbar, wenn sie von der angeblichen Förderung und Ermutigung aus Berlin leben müßte; diese österreichische Volksbewegung, die im Augenblicke der Entscheidung alles mitreißen wird, fühlt sich in Wahrheit seit Jahren durch die Ablenkung der politischen Aufmerksamkeit der Reichsregierung auf die Westfragen bedrückt und neigt sehr dazu, der offiziellen Reichspolitik mangelndes Verständnis für die national-politische und wirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses vorzuwerfen. Das ist die nüchterne Wahrheit über den wirklichen Charakter der Anschlußbewegung, die, wenn sie nur Berliner "Mache" wäre, längst aufgehört [609] hätte, durch immer wiederkehrende kraftvolle Äußerungen die Zusammenschlußgegner Europas zu beunruhigen oder zu bekehren.


Die Zusammenschlußbewegung verfügt über besondere Organisationen, welche verschiedene Arbeitsbereiche betreuen. Während die durch ihr häufiges öffentliches Hervortreten und ihre gewaltige Mitgliederzahl besonders bekannten "Volksbund"-Organisationen im Reich und in Österreich hauptsächlich der Propaganda des Zusammenschlußgedankens vor der europäischen Öffentlichkeit dienen, betreiben die "Arbeitsgemeinschaften" in Österreich und im Reiche das Studium und die Beeinflussung der wechselseitigen Angleichungsarbeit im Rahmen einer zahlenmäßig beschränkten fachkundigen Mitarbeiterschaft. Die "Delegation" beschränkt sich ausschließlich auf die Frage des wirtschaftlichen Zusammenschlusses auf der Grundlage einer umfassenden Vereinigung der Wirtschaftsverbände in Österreich. Die Anfänge der "Österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft" reichen zeitlich am weitesten zurück.


 
I. Die Arbeitsgemeinschaften

Die Anfänge der österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft Wien reichen in die Kriegszeit zurück. Bei den Salzburger Wirtschaftsverhandlungen im Jahre 1917 wurde angeregt, dem wirtschaftlichen Zusammenschluß eine möglichst weite Angleichung auf allen Gebieten der öffentlichen Verwaltung folgen zu lassen. Einer der Hauptträger dieser Idee war der seinerzeitige Justizminister und international berühmte Rechtslehrer Dr. Franz Klein.

Nach dem Zusammenbruche begründete er mit einem Kreise hochstehender Politiker und Männer der Wirtschaft, unter ihnen Hofrat Professor Wettstein und unser erster Gesandter in Berlin Professor Dr. Ludo Hartmann, die österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft.

Durch den Tod Ludo Hartmanns im Jahre 1920 und den leidenden Zustand Dr. Franz Kleins, der im Jahre 1924 starb, waren die Arbeiten in der Arbeitsgemeinschaft über die ersten Ansätze kaum hinausgekommen.

[610] Im Frühjahre 1925, im Zeichen der Donauföderationspläne und der Völkerbundexpertisen, wurde die Arbeit zielbewußt wieder aufgenommen und die österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft auf breiterer Grundlage und im allgemeinen in ihrer heutigen Gestalt neu aufgebaut und der Öffentlichkeit des In- und Auslandes vorgestellt. Diese Arbeitsgemeinschaft ist eine lose, streng überparteiliche Vereinigung. Sie zählt in Österreich derzeit 420 Mitglieder. Die Mitgliedschaft kann nur mit Zustimmung des Hauptausschusses erworben werden. Im Leitungsausschusse sind alle parlamentarischen Parteien durch offizielle Delegierte vertreten.

Die Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft steht unter dem Vorsitze des um die Sache des Zusammenschlusses hochverdienten Universitätsprofessors Hofrat Dr. Richard Wettstein, Vizepräsidenten der Wiener Akademie der Wissenschaften, ehemaligem Mitgliede des österreichischen Herrenhauses. Vorsitzenderstellvertreter ist Unterstaatssekretär a. D. Ingenieur Bruno Enderes. Die Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft gliedert sich in die Fachausschüsse für Kunst und Kultur mit den Unterausschüssen für Musik, Schrifttum, Archive und Bibliotheken; Unterricht mit den Unterausschüssen für Angleichung des Hochschulwesens, Mittelschulwesens, Volksschulwesens; Recht mit 7 Unterausschüssen; Wirtschaft mit den Unterausschüssen für Industrie, Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Verkehr. Die Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft unterhält eine eigene Monatsschrift, Deutsche Einheit.

Ihre Tätigkeit vollzieht sich in einem kleinen Kreise von Fachleuten und Politikern ohne besonderes öffentliches Hervortreten. Sie kann auf dem Gebiete der Rechts-, Verkehrs- und Wirtschaftsangleichung auf schöne Erfolge hinweisen, die von der anschlußfeindlichen Presse Europas mit großer Aufmerksamkeit bedacht wurden. Zur Aufklärung über Fragen der Angleichung sind bis Mitte des Jahres 1930 eine Reihe von Schriften erschienen: Das österreichische Wirtschaftsproblem, Eisenbahn und Schiffahrt, Anschluß und Energiewirtschaft, Doppelte Staatsbürgerschaft, Eherechtsangleichung, Die nächsten Aufgaben. In Kürze werden erscheinen: Steuerrechtsangleichung, Rechtsangleichung und Unterrichtsangleichung.

Im Jahre 1925 wurde als deutsche Schwesterorganisation die "Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft" in München durch Dr. Gerhard Frh. v. Branca gegründet, der bis zum Jahre 1927 erster Vorsitzender des geschäftsführenden Vorstandes war. Diese Münchner [611] Gründung wurde bald zu der "Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft für das Reich" ausgestaltet und teilt sich in die Landesgruppen: Berlin, Bayern, Hessen-Nassau, Niedersachsen, Rheinland-Westfalen, Sachsen-Thüringen und Württemberg. Den österreichischen Fachausschüssen samt Unterausschüssen entsprechen die Reichsfachausschüsse: Für Recht in Berlin; Unterricht in Berlin; Hygiene in Dresden; Jugend- und Studentenarbeit in München; soziale Fragen in Frankfurt; Leibesübungen und Wandern in München; Propaganda in Stuttgart; Wirtschaft in Düsseldorf; Forstwirtschaft in München; Landwirtschaft für Norddeutschland in Berlin; Landwirtschaft für Süddeutschland in München. Außerdem bestehen zur Bearbeitung mehr regionaler Aufgaben noch Landesausschüsse für Wissenschaft, Kunst, Kultur, Unterricht, Handwerk und Gewerbe, Handel, Industrie und Verkehrswesen. Für Energiewirtschaft besteht ein gemeinsamer bayrisch-württembergischer Fachausschuß. Alle diese Fachausschüsse stehen miteinander in engster Verbindung. Den Vorsitz führt seit der Reorganisierung im Jahre 1927 Reichsminister a. D. Emminger.

Die Arbeitsgemeinschaft in Österreich tritt mit der deutschen Schwesterorganisation zu gemeinsamen jährlichen Tagungen zusammen.

Die Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft für das Reich hat neben ihren verschiedenen Veröffentlichungen durch den Reichspropagandaausschuß der Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft in Stuttgart auch die Schriften von Dr. Herbert Kniesche: Der österreichisch-deutsche Wirtschaftszusammenschluß, und von Dr. Friedrich F. G. Kleinwächter: Selbstbestimmungsrecht für Österreich!, herausgegeben und eine englische Ausgabe der Kleinwächterschen Schrift unter dem Titel Self-Determination for Austria durch den Verlag George Allen & Unwin in London 1929 veranlaßt. Die Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft hat außer ihren Veröffentlichungen durch die Veranstaltung zahlreicher Tagungen, Abhaltung von Vorträgen und Enqueten, durch eine Fülle sachlicher Kleinarbeit auf den verschiedensten Gebieten der Angleichung der großdeutschen Sache mit Erfolg gedient.

Die Veranstaltung einer "Österreichischen Woche", die erstmalig im Jahre 1929 in Frankfurt am Main stattfand, wird zu einer ständigen Einrichtung gemacht werden. Der kulturpolitische Ausschuß der österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft in Klagenfurt ver- [612] anstaltet im Herbst jeden Jahres gemeinsam mit der Deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft München eine "Deutsche Hochschulwoche" in Klagenfurt.


 
II. Der Österreichisch-deutsche Volksbund Berlin

Schon in den Novembertagen des Jahres 1918 hatte sich in Berlin ein "Österreichisch-deutscher Arbeitsausschuß" gebildet, der als Beirat der deutschen Regierung in allen Fragen des Zusammenschlusses wirken wollte. Er setzte sich als Hauptaufgabe, dafür zu wirken, daß die Vorarbeiten für den Zusammenschluß hüben und drüben in Fluß gebracht werden. Es waren im Reiche lebende Österreicher, die diesen Arbeitsausschuß begründeten, es war der erste Gesandte Deutschösterreichs, Ludo Hartmann, der die weitere Entwicklung der Zusammenschlußarbeit in Berlin unermüdlich und entscheidend beeinflußte.

Aus diesem "Österreichisch-deutschen Arbeitsausschuß" entstand der "Österreichisch-deutsche Volksbund Berlin", der sich auf eine breite überparteiliche Grundlage stellte und maßgebliche Vertreter der wichtigsten Reichstagsparteien in seinen Vorstand berief, an dessen Spitze seit März 1921 der Präsident des deutschen Reichstages Paul Löbe steht. So wahr es ist, daß die Zusammenschlußbewegung vor allem eine österreichische Volksbewegung ist, die aus dem österreichischen Schicksale ihre unzerstörbare Kraft bezieht, so wahr ist es, daß Paul Löbe in Europa der bekannteste Kämpfer für Großdeutschland geworden ist. Sein überparteiliches Ansehen, seine gewinnenden persönlichen Eigenschaften, seine hervorragende Rednergabe, sein erfrischender Mut, der Welt in der Zusammenschlußfrage unbeirrt durch angebliche außenpolitische Rücksichten die Wahrheit zu sagen, dies alles hat Paul Löbe zu dem weithinragenden Führer gemacht, als welcher er in die Geschichte der deutschen Einheitsbewegung eingehen wird.

Der Österreichisch-deutsche Arbeitsausschuß, aus dem sich der "Österreichisch-deutsche Volksbund Berlin" entwickelte, ist als erste Organisation für den Zusammenschluß an die große Öffentlichkeit getreten. (Öffentliche Versammlung in der Hochschule für Musik, Berlin, am 17. November 1918.) Die Bewegung, von Österreichern begonnen, breitete sich, insbesondere auf der Grundlage vorhandener [613] landsmannschaftlicher Österreichervereine, im Reiche rasch aus; einem Landesverband in Frankfurt a. M. folgte bald die Gründung eines Gauverbandes Rheinland-Westfalen in Essen. In zahllosen öffentlichen Kundgebungen, Versammlungen, Vorträgen, durch Ausstellungen und Reiseveranstaltungen entfaltete der Volksbund Berlin in den Jahren seines Bestandes eine reiche Aufklärungs- und Werbetätigkeit, die, insbesondere durch das weithin gehörte Wort Paul Löbes, der internationalen Auseinandersetzung über die Anschlußfrage immer wieder Nahrung gab. Die reichsdeutsche Volksbundorganisation, die ja lange vor den reichsdeutschen "Arbeitsgemeinschaften" ihre Tätigkeit begann, beschäftigte sich auch mit Fragen der Angleichung (Schulausschuß, Wirtschaftsausschuß, Rechtsausschuß) und übergab einige für die Anschlußbewegung wichtige Schriften der Öffentlichkeit: Österreichs Weg zum Anschluß von G. Höper u. a. Die offizielle Zeitschrift des Österreichisch-deutschen Volksbundes Berlin ist seit 1923 Österreich-Deutschland, die sich, wie wir schon einleitend bemerkten, seit Jahren erfolgreich mit der Propaganda österreichischer Landschaft, Kunst und Literatur im Reiche befaßt. Diese Zeitschrift wurde und wird vornehmlich von Österreichern geschrieben.


 
III. Der Österreichisch-deutsche Volksbund Wien

Diese Organisation wurde, bald nachdem die "Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft Wien" den Weg in die Öffentlichkeit beschritten hatte, im Einvernehmen über die Arbeitsteilung mit dieser, am 4. Juni 1925 gegründet, und zwar zuerst im Rahmen der Volksbundorganisation des Reiches als Ortsgruppe Wien. Die Gründung erfolgte auf streng überparteilicher Grundlage durch Beschickung des Vorstandes von seiten der parlamentarischen Parteien. Diese Ortsgruppe Wien entwickelte sich in der Folge zu einer selbständigen österreichischen Organisation, die innerhalb weniger Jahre eine im In- und Auslande viel bemerkte Ausdehnung erreichte. An der Spitze der österreichischen Volksbundorganisation steht seit ihrer Gründung als Obmann Generaldirektor Dr. Ing. Hermann Neubacher. Die rasch aufeinanderfolgenden überparteilichen Massenkundgebungen des "Österreichisch-deutschen Volksbundes Wien" haben die internationale Auseinandersetzung über die Zusammenschluß- [614] frage heftig in Bewegung gesetzt und vor allem mit der bequemen These, Österreich wolle keinen Zusammenschluß mit dem Reiche, in kurzer Zeit aufgeräumt. Die Wiener Kundgebungen vom 24. Juni 1925, anfangs September 1925 (die "Löbe-Reise"), die "Rhein-Donau"-Kundgebung vom Mai 1926 brachten zehntausende Österreicher ohne Unterschied der Partei auf die Straße und fanden ihren Widerhall in der ganzen europäischen Presse. Diese Kundgebungen, neben welchen eine umfangreiche Organisationsarbeit geleistet wurde, steigerten sich zu dem Höhepunkte des Zehnten deutschen Sängerbundfestes in Wien im Juli 1928. Die gewaltige Kundgebung in der großen Sängerhalle am 19. Juli 1928, bei der der Bundesobmann vor nahezu hunderttausend Deutschen aus allen Teilen der Erde sprechen konnte, die Massenkundgebung des Volksbundes in Graz (23. Juli), an der ungefähr 30.000 Menschen teilnahmen, die Volksbundfahrt durchs Burgenland mit Paul Löbe und reichsdeutschen Politikern aller Parteien machten den tiefsten Eindruck in der europäischen Öffentlichkeit. In den Jahren 1929 und 1930 folgten öffentliche Kundgebungen in anderen Landeshauptstädten, insbesondere in Klagenfurt (Mai 1929, Juni 1930).

Der "Österreichisch-deutsche Volksbund Wien" hat seine Organisation über ganz Österreich ausgedehnt; es entstanden in rascher Folge die Landesgruppen in Linz, Graz, Eisenstadt, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt. Die Zusammensetzung der Landesgruppenleitungen, an deren Spitze in der Regel die Bürgermeister der Landeshauptstädte stehen, ist ebenso wie die des Bundesvorstandes streng überparteilich. Mitglieder des Volksbundes können Einzelmitglieder und Körperschaften sein. Im Juli 1930 umfaßte diese Organisation 320 Körperschaften aller Berufe und Parteirichtungen. Darunter 114 Gewerkschaften, 130 Fach- und Kulturverbände. Es seien nur einige der größten Verbände hier angeführt: Niederösterreichischer Bauernbund (120.000 Mitglieder), Österreichischer Metallarbeiterverband (120.000), Oberösterreichischer Bauernbund (80.000), Eisenbahnergewerkschaft (94.000), Österreichische Baugewerkschaft (63.000), Zentralkommission der christlichen Gewerkschaften (107.000), Freier Gewerkschaftsbund (45.000), Deutscher Beamtenverband (8000) usw. (alle Lehrerverbände).

Von den Fach- und Kulturverbänden seien genannt: Vereinigung österreichischer Richter, Wiener juristische Gesellschaft, Österreichischer Ingenieur- und Architektenverein, Deutscher Schulverein "Süd- [615] mark", Ostmärkischer Sängerbund (über 600 Zweigvereine), Deutscher Klub, Österreichischer Notarenverein usw.

Von parteipolitischen Verbänden: Österreichischer Landbund, Sozialdemokratische Partei Salzburg, Christlichsozialer Volksverband für Niederösterreich usw.

Auf Grund einer besonderen Werbeaktion treten in letzter Zeit zahlreiche Gemeinden durch Gemeinderatsbeschluß als körperschaftliche Mitglieder bei.

Von den vielen anschlußpolitischen Aktionen des Volksbundes sei auf eine, die im In- und Auslande großes Aufsehen erregte, besonders hingewiesen. Anläßlich der zehnten Wiederkehr des Tages der November-Verfassung 1918 ("Deutschösterreich ist ein Bestandteil der deutschen Republik") gelang es dem Volksbund innerhalb kürzester Zeit, die Unterschriften von mehr als zwei Dritteln der Mitglieder des National- und Bundesrates für folgendes Treuegelöbnis zu gewinnen: "Deutschösterreich ist ein Bestandteil der deutschen Republik – heute, zehn Jahre nach dem 12. November 1918, und immerdar halten wir in Treue fest an diesem Beschluß und bekräftigen ihn durch unsere Unterschrift!" Hunderte von führenden Männern der öffentlichen Verwaltung und Rechtsprechung, der Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft haben dieses Gelöbnis unterschrieben. Das Organ des "Österreichisch-deutschen Volksbundes Wien" ist die Halbmonatsschrift Der Anschluß, die auch an tausende Auslandsstellen verschickt wird. Der "Österreichisch-deutsche Volksbund" hat vor der ganzen Weltöffentlichkeit den Beweis erbracht, daß der Zusammenschlußwille von der erdrückenden Mehrheit der Österreicher ohne Unterschied der parteipolitischen Richtung getragen wird, daß dieser Wille machtvoll und seines endlichen Sieges sicher ist.


 
IV. Die Delegation für den österreichisch-deutschen Wirtschaftszusammenschluß

Für den Entwicklungsabschnitt der Zusammenschlußbewegung von 1925 bis 1928 ist die Tatsache besonders charakteristisch, daß die österreichische Wirtschaft, in deren Denken die angeblich vernichtende reichsdeutsche Konkurrenz früher eine ziemliche Rolle spielte, beinahe geschlossen für den deutsch-österreichischen Wirtschaftszusammenschluß, für das einzig mögliche "größere Wirt- [616] schaftsgebiet" eintritt. Diese Tatsache findet neben zahlreichen Kundgebungen der maßgeblichen Wirtschaftsorganisationen (Handelskammern) und Wirtschaftsführer in der Gründung einer neuen österreichischen Organisation für den Zusammenschluß ihren Ausdruck.

Die "Delegation für den österreichisch-deutschen Wirtschaftszusammenschluß" wurde im Herbste 1927 ins Leben gerufen; ihr Ziel ist die Organisation der österreichischen Wirtschaft für den Kampf um den wirtschaftlichen Zusammenschluß mit dem Reiche. Ihren Leitungsvorstand bilden die Delegierten großer Wirtschaftsverbände und – im Interesse der ständigen Fühlung mit den gesetzgebenden Körperschaften – aktive Politiker als Vertreter der parlamentarischen Parteien.

Den Vorsitz führt seit der Gründung Kammerrat Hermann Kandl.

Innerhalb kurzer Zeit haben sich über hundert Verbände der Industrie, des Handels und des Gewerbes sowie große Berufsorganisationen dieser Delegation als körperschaftliche Mitglieder angeschlossen. So gibt es beispielsweise in Wien und Niederösterreich keinen protokollierten Kaufmann mehr, der nicht durch seine Spitzenorganisation der "Delegation" angehören würde; auf demselben Weg erscheinen sämtliche gewerblichen Betriebe des Burgenlandes erfaßt und überhaupt alle gewerblichen Betriebe, die Mitglieder des "Gewerbebundes", des "Deutschen Handels- und Gewerbebundes" und des "Verbandes der sozialdemokratischen Gewerbetreibenden" sind. Die Liste der gewerblichen Fachvereinigungen erfaßt nahezu alle Gewerbezweige. Es wäre vielleicht noch anzuführen, daß auch die zwei größten Arbeiterkammern Österreichs, dann die Wiener Börsekammer, der Reichsverband Deutscher Sparkassen, der Deutschösterreichische Städtebund usw. Mitglieder der "Delegation" geworden sind.

So ist der "Delegation" innerhalb kurzer Zeit der Nachweis gelungen, daß die österreichische Wirtschaft auf dem Boden des wirtschaftlichen Zusammenschlusses mit dem Reiche steht. Im Jahre 1928 veranstaltete die "Delegation" eine Rundfrage bei den Wirtschaftsverbänden über die Zusammenschlußfrage, deren sehr interessantes, absolut positives Ergebnis im November 1929 in Form eines Berichtes der Öffentlichkeit übergeben wurde. In allerletzter Zeit hat die "Delegation" mit der Werbung von Einzelfirmen als Mitglieder begonnen.


[617] Somit ist die Aufzählung und Beschreibung der sogenannten "Anschlußorganisationen" beendet.

Alle diese Körperschaften, die seit Jahren mit den bescheidensten materiellen Mitteln, aber mit Zustimmung der übergroßen Mehrheit des deutschen Volkes in Österreich und im Reiche dem Zusammenschlusse dienen, sind wichtige Faktoren der öffentlichen Meinung geworden; die bewußte Einseitigkeit ihres nationalpolitischen Programms und strenge Überparteilichkeit bewahrten sie bis heute vor Erschütterungen.

Sie werden, wenn einmal das große Ziel erreicht ist, ehrenvoll in die Geschichte deutscher Einheitsbewegung eingehen.


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Die Anschlußfrage
in ihrer kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung

Friedrich F. G. Kleinwaechter & Heinz von Paller