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XVI. Wege zum Anschluß   (Forts.)

 
Der österreichisch-deutsche Wirtschaftszusammenschluß
Abg. Professor Dr. Karl Drexel (Dornbirn)

Wirtschaft und Politik • Was Österreich braucht • Österreichs handelspolitische Lage eine Folge seiner beschränkten Bewegungsfreiheit • Grenzen und Zollpolitik • Das Walsertal in Vorarlberg • Notwendigkeit eines größeren Wirtschaftsgebietes • Österreich kann wirtschaftlich nicht allein leben • Die Industrie und Landwirtschaft Österreichs für die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich • Das Gutachten von Layton und Rist • Die Denkschrift der Österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft 1925 • "Die Furcht vor der deutschen Konkurrenz" • Ablehnung einer Einbeziehung Österreichs in eine slawische Wirtschaftsentente • Der Weg zum Ziel • Wirtschaftsorganisatorische Vorarbeiten • Die österreichisch-deutschen Handelsbeziehungen • Der österreichisch-deutsche Grenzverkehr • Der österreichisch-deutsche Handelsvertrag 1930 • Zollunionspläne in Ost- und Südosteuropa • Der Vertrag von Sinaia • Die Frage der Präferenzzölle • Die "deutsche Klausel" • Notwendigkeit aktiven Handelns der österreichischen Regierung und Wirtschaft.

Sollen wir auf den wirtschaftlichen Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich hinarbeiten, sollen wir die Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsgebietes des deutschen Volkes anstreben? – das ist die einzige, entscheidende Vorfrage der Anschlußbewegung. Wird sie bejaht, dann ist die Aufgabe der nächsten Zeit klar gegeben, und beruhigt können wir die Entscheidung über andere Fragen, welche damit zusammenhängen, der weiteren Entwicklung überlassen, auch dann, wenn wir heute die Umrisse, den Inhalt und die Auswirkung neuer Formen noch nicht genau erkennen und überschauen können. Wird die große Vorfrage aber verneint, dann rückt das Ziel der heutigen Anschlußbewegung in eine weitere Ferne, und zwar solange, bis nicht in einem späteren Zeitpunkte eine andere Stellungnahme hinsichtlich des wirtschaftlichen Zusammenschlusses erfolgt.

Denn der Zusammenschluß der Wirtschaft beider Staaten soll für beide Teile eine Hebung, Stärkung und Förderung bringen; und wenn in der Übergangsperiode einige Härten auch unvermeidlich sind, so muß doch ein Erfolg in Sichtweite für die Wirtschaft, aber auch für die Gesamtheit des Volkes erkennbar sein.

Das ist die inhaltsschwere Frage, die man mathematisch, mit Hilfe der Statistik über Betriebe, Produktion und Handel, wohl in ihrem Umfange, auch in ihrer ziffernmäßigen Wechselbeziehung erfassen kann, mehr aber nicht. Wertvollere Anhaltspunkte für eine Stellungnahme zur gegebenen Frage bieten uns die Geschichte, die Erfahrung, führende Köpfe der Wirtschaft und ihre einzelnen Gruppen; schließlich aber müssen wir erst noch der Intuition, dem prophetischen Schauen weitblickender Männer vertrauen, deren Auffassung über den unheimlichen Entwicklungsprozeß in den einzelnen [571] Staaten sowohl, als auch in Europa und in dem großen Zusammenhange der Weltwirtschaft fortschreitend mehr Beachtung verdient. Noch vor zehn Jahren gab man der Wirtschaft nicht zuerst das Wort, sondern nationale und politische Motive standen im Vordergrund. Unglaublich rasch hat sich diese Situation geändert. Die Wirtschaft beider Staaten steht unter einem schweren Drucke, mitten in einem Ringkampfe, dessen Arena in engerem Sinne Europa, in weiterem die ganze Welt ist; mehr als früher je einmal haben wir begreifen gelernt, welche Bedeutung für ein Volk der Stand seiner Wirtschaft hat. Würde sie im Aufstiege sich befinden, dann wäre auch ihre Stellungnahme zum Anschlußproblem viel leichter, fast ohne Überlegung gegeben. Eine ringende Wirtschaft aber muß vorsichtiger sein, wir müssen wie ein Konsilium von Ärzten den Zustand des Kranken und die Hilfsmittel wohl überlegen; müssen den Mut haben, den als richtig erkannten Weg zu gehen, wenn wir auch im Dämmerlichte nicht jeden Stein sehen können; vielleicht würde der Wirtschaft geholfen, wenn sie den Mut Alexanders des Großen hätte, als er den Becher trank, der ihn gesund machte.


Was Österreich braucht: Viele Fragen und Bestrebungen, welche um die Jahrhundertwende Europa in ständiger Unruhe hielten, fanden durch den Abschluß des Weltkrieges eine vorläufige Lösung. Die Italiener, die Südslawen, die Rumänen, die Tschechoslowaken, die Polen und die Franzosen erscheinen seither in einer verstärkten nationalen Einheit, und wenn auch überall völkische Minderheiten beigemengt sind, so haben diese nicht einmal in Böhmen einen beachtenswerten Einfluß. Ganz nach den Ideen von Friedrich List, begannen alle diese alten und neuen Staaten mit einer klaren nationalen Wirtschafts- und Handelspolitik. Soweit sind die Deutschen noch nicht gekommen, doch brachte der Weltkrieg auch für sie die Tatsache, daß verschiedene Hemmungen des letzten Jahrhunderts verschwanden und der Weg zur wirtschaftlichen Einheit in den Sichtkreis des Erreichbaren getreten ist. Für den Sehenden und Wissenden kein leicht zu erreichendes Ziel, und wer die Schwierigkeiten unterschätzt oder gar übersieht, wird der guten Sache schaden und selbst bittere Enttäuschungen erleben.

Es ist notwendig, die wichtigsten Seiten des ganzen Problems hervorzuheben. Das Deutsche Reich und Österreich haben vieles mit- [572] einander gemeinsam; das ist darin begründet, daß eben in beiden Fällen dasselbe Volk in Frage kommt, das durch viele Jahrhunderte hindurch in einer zum Teil gleichartigen Landschaft sich die Wirtschaft aufbaute. In beiden Staaten starker industrieller Sinn und hochstehende Betriebe, in beiden Staaten der deutsche Bauer, der einen höheren landwirtschaftlichen Betrieb, aber auch einen höheren Lebensstandard aufweist; in beiden Staaten ein und derselbe deutsche Arbeiter; was Bildung, Tüchtigkeit und Lebensart betrifft, dem größten Teile der europäischen Arbeiterschaft um ein gutes Stück voraus, unterschiedlich von gar allen Nachbarn ringsherum. Beide Staaten haben eine Einbuße des Marktes für ihre Produkte erlitten, Österreich viel mehr als das Deutsche Reich. Beide Staaten leiden augenblicklich sehr unter einer wirtschaftlichen Krise und müssen an Selbsthilfe denken mit viel schärferen Mitteln als in früherer Zeit.

Während das Deutsche Reich mit Erfolg größere Maßnahmen durchführen kann, um z. B. der eigenen Landwirtschaft Hilfe zu bringen, muß Österreich auf eine gleiche Methode verzichten, weil es eben zu klein ist und weil dabei andere Teile der Wirtschaft zu Schaden kämen. So hat das Deutsche Reich eine ganz andere Bewegungsfreiheit seinem Nachbar gegenüber, während für Österreich der Abschluß von Handelsverträgen immer mehr das Sorgenkind wird. Die Mehrzahl unserer Nachbarn will unserer Industrie das Tor öffnen, aber nur unter der Bedingung, daß Österreich landwirtschaftliche Produkte abkauft. Unsere Viehzüchter erschrecken, wenn wieder ein neues Kontingent von Schlachtvieh eingeführt werden soll. Es handelt sich nicht um große Ziffern, im Deutschen Reich hätten sie keine Bedeutung, für Österreich scheinen sie aber bei der Lage der eigenen Landwirte bedenklich. Die wirtschaftliche Eigenart unserer östlichen Nachbarn bringt es mit sich, daß Österreich keinen Handelsvertrag schließt, der für beide Teile unserer Wirtschaft, Industrie und Landwirtschaft, einen Vorteil bringen kann, und während die eine freien Weg hinaus braucht, will die andere die Grenze möglichst verschließen.

Im Deutschen Reiche trat die Regierung Brüning 1930 mit einem starken Agrarprogramm an die Spitze. Ihre Exportförderung brachte Schweine bis auf den Wiener Markt und ein ganz neu eingeführter Milchzoll verursachte eine große Erregung auch an der österreichischen Grenze. Begreiflicherweise gab es darüber bei uns Aufregung [573] und Besorgnis, doch mußte ruhige Überlegung zugeben, daß das Deutsche Reich durchaus auf richtigem Wege blieb, auch wenn es uns weh tat, denn die ganze Aktion galt ja nicht Österreich, sondern anderen Nachbarn, wir waren nur die Mitbetroffenen, weil auch wir außerhalb der deutschen Zollschranken uns befinden. Es ist sehr anerkennenswert, daß man im Reiche gleich von Anfang daran dachte, besondere Härten, welche sich aus der deutschen Agrarhilfe für Österreich ergeben könnten, wieder aufzuheben.

Österreich darf an eine ähnliche Hilfsaktion gar nicht denken; eine Exportförderung würde zu viel kosten und die autonome Einführung eines neuen Zolles sicherlich eine Gegenaktion von der anderen Seite hervorrufen. Für alles das ist Österreich zu klein, ein großer Staat aber kann das wagen. Auch wir in Österreich sind daran, der Landwirtschaft Hilfe zu bringen, aber wieviel schwieriger ist es, da einen gangbaren Weg zu finden und ganz unvermeidlich, daß ich dem einen Teil fühlbar weh tue, wenn ich dem anderen nur etwas helfen will: der kleine Staat mit einer schwachen Wirtschaft.

Ein Geburtsfehler des neuen Österreich ist seine geographische Lage und seine Grenzlinie; kein anderer Staat der Welt hat eine solche Form. Daraus werden sich für Österreich immer Schwierigkeiten ergeben, die seine Wirtschaft hemmen und drosseln. Mit einem Schlage ist dieser Fehler behoben, welchen auch diejenigen zugeben, die als Sieger ihn gemacht haben. In Vorarlberg ist das kleine Walsertal gegen das Deutsche Reich hin offen, mit hohen Bergen auf der österreichischen Seite, über die nur Saumwege führen. Schon längst ist es im deutschen Zollverbande, gehört aber politisch zu Österreich und wird in allen Belangen von der Landesregierung in Bregenz geleitet. Die Zolleinheit mit Bayern war für das kleine Tal die Voraussetzung für seinen heutigen Wohlstand, dabei wurde nie eine Stimme laut, die andere Verbindung mit Vorarlberg etwa aufzulösen. Freilich waren da die Walser immer wohl gelitten und hatten keinen Grund zur Klage. Eine gleiche Situation, nur vielfach vergrößert, ergibt sich für Österreich, das vorerst nur an seine Wirtschaft denken darf, diese aber braucht ein größeres Wirtschaftsgebiet, auch deshalb, um einen viel größeren Inlandsmarkt zu bekommen. Gewiß ist auch der größere Platz Krisen und Konjunkturen unterworfen, aber ein großer Körper spürt einen Stoß schwächer und langsamer, als ein kleiner, der dabei in seinem Innersten erschüttert [574] wird. Die deutschen Alpen würden gemeinsamer deutscher Besitz und würden das große Reservoir der heute noch getrennten und eifernden viehzüchtenden Landwirte. Und Niederösterreich mit Wien und Burgenland werden die Ostmark des vereinigten deutschen Wirtschaftsgebietes. Ungarn und Südslawen und Rumänen werden bald den größeren Nachbarn dem heutigen kleineren vorziehen, denn ihre Sympathien gehörten weit zurück immer mehr den Deutschen im Reiche als den Österreichern, und eine große, wenn auch nur wirtschaftliche Einheit in Mitteleuropa wird viel zur Befriedung beitragen, was alle drei Nachbarn in ihren wirtschaftlichen Sorgen sehr begrüßen werden. Mit dem großen deutschen Wirtschaftsgebiet werden diese drei Oststaaten leichter einen Handelsvertrag abschließen als mit dem kleinen Österreich, und es wird sich wieder ergeben, daß beide Teile und auch die Wirtschaft beider Teile ihren Vorteil aus einem Handelsvertrag ziehen.


Die Erkenntnis, daß das kleine Österreich wirtschaftlich nicht allein bleiben kann, ist bei uns in Österreich fast unbestritten; ebenso klar geschaut die Notwendigkeit, in ein größeres Wirtschaftsgebiet einzutreten. Zweifellos denkt fast das ganze Österreich dabei an das heutige Wirtschaftsgebiet des deutschen Volkes. Für viele aber bedeutet das einen Schritt in eine ungewisse, dunkle Zukunft, und da es sich um ein wirtschaftliches Experiment handelt, fragt jeder zuerst, wie eine solche Vereinigung etwa sein wirtschaftliches Dasein beeinflusse. Weil wir eben alle Deutsche sind, wiederholt sich genau die Geschichte des deutschen Zollvereines, welche zu allen Zeiten ängstliche Gemüter vorführt und auch einige rückständige Industrien, welche den fortgeschritteneren Platz machen mußten. Feststellen können wir aber, daß die führenden Kräfte in Industrie und Landwirtschaft sich für die wirtschaftliche Vereinigung beider Staaten ausgesprochen haben, und zwar aus einer höheren Erkenntnis heraus für geschichtliche Zusammenhänge und geschichtliche Entwicklung, und es sind Lichtpunkte, wenn ein Mann der Industrie oder des Gewerbes erklärt, daß sein Betrieb in der freien Konkurrenz eines einigen Deutschland sich nicht halten könne, daß er den Betrieb umstellen müßte, aber er trete für die wirtschaftliche Vereinigung ein, weil das für Österreich, aber auch für das deutsche Volk die einzige rettende Formel sei.

[575] Es scheint zweckmäßig, einige Erklärungen hier festzuhalten, die eine aus Vorarlberg, die andere aus Salzburg, zwei kleine Länder, die ganz an der Grenze liegen, in welchen eine wirtschaftliche Vereinigung mit dem Nachbar sich sofort auswirkt.

Entschließung des Verbandes der Industriellen von Vorarlberg in seiner am 15. Juli 1925 stattgehabten Jahresvollversammlung.

Die zu einem dauernden Zustand gewordene wirtschaftliche Krise in Österreich, die sich am deutlichsten in der ungeheuren Zahl der Arbeitslosen und in einem unerträglichen Geldmangel der Industrie zum Ausdruck bringt, veranlaßt – oder besser gesagt zwingt – sowohl die Politiker wie auch die Vertreter der Wirtschaft Österreichs, sich mit der Frage zu befassen, ob diesem Zustande überhaupt mit den bisher erwogenen Mitteln jemals ein Ende gemacht werden kann.

Der Verband der Industriellen von Vorarlberg machte diese Frage in seiner am 15. Juli 1925 stattgehabten Vollversammlung zu einem Gegenstand der Tagesordnung und faßte nach eingehender Beratung folgende Entschließung:

      "Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Krise eine der Folgen der durch den Friedensvertrag künstlich geschaffenen, die wirtschaftliche Existenzfähigkeit nicht berücksichtigenden Grenzen Österreichs ist. Die verhältnismäßig reiche Industrie Österreichs sowie dessen bedeutendes Handels- und Kulturzentrum Wien wurden durch diese widernatürliche Begrenzung Österreichs von hohen Aktivposten geradezu zu Passivposten der österreichischen Wirtschaft gemacht.
      Kredite und handelspolitische Konzessionen mögen vorübergehend eine Existenzfähigkeit vortäuschen, die Existenzfähigkeit zu schaffen und zu erhalten sind sie nicht imstande. Kredite müssen zurückgezahlt, handelspolitische Konzessionen können zurückgenommen werden. Ist eine dauernde Aktivwirtschaft nicht gewährleistet und ist die Existenzfähigkeit vom guten Willen des Auslandes zu Konzessionen abhängig, so bleibt das österreichische Problem ungelöst. Sachverständige Beratungen, Expertisen und Völkerbundberatungen ändern an diesem Zustande nichts, wenn um den Kern der Frage stets herumgegangen wird.
      Der Kern der Frage ist, was zu geschehen hat, um Österreich zu einem Lande zu machen, das sowohl wirtschaftlich wie auch politisch auf eigenen Beinen zu stehen imstande ist. Gegenwärtig ist [576] es weder wirtschaftlich noch politisch selbständig. Es ist wirtschaftlich nicht selbständig, weil es seine Produktion zum überwiegenden Teil im Ausland absetzen muß, um den Existenzbedarf seiner Bevölkerung decken zu können, und es ist politisch nicht selbständig, da es zu einem wehrlosen Zwergstaat ohne jede Macht gegenüber dem Auslande gemacht wurde und auch keinerlei Schutz seitens eines Großstaates genießt. Die Industrie des österreichischen Gebietes ist vorwiegend auf diejenigen Gebiete als Absatzgebiete angewiesen, die zum ehemaligen Österreich-Ungarn gehörten. Da diese Gebiete nunmehr zum größeren Teil Ausland sind und jederzeit den Absatz österreichischer Waren verhindern können, wäre ein Zollverein mit diesen Gebieten eine Lösung von sehr fraglichem Werte, ganz abgesehen davon, daß die hier in Betracht kommenden Staaten durch ihr Bündnis mit den mächtigsten Großstaaten Protektionen genießen und Österreich gegenüber überwiegende politische Macht besitzen.
      Eine politische Union der hier in Betracht kommenden Staaten ist angesichts der internationalen europäischen Lage und der Gesinnung unseres Volkes ausgeschlossen.
      Es bleibt dann nur noch die Lösung, an die schon im Friedensvertrag von St. Germain gedacht wurde, das ist der Anschluß an ein großes, geschlossenes Wirtschaftsgebiet, der Anschluß an das Deutsche Reich.
      Der Rahmen der Entschließung läßt eine eingehende Darstellung der Vorteile, die Österreich aus diesem Anschluß erwachsen würden, nicht zu. Soviel sei nur gesagt, daß mit dem Anschluß das österreichische Problem nicht mehr ein internationales wäre, sondern eine deutsche Frage würde, und endlich zum Heile Österreichs und zur Entlastung des Völkerbundes die natürliche Lösung gefunden wäre.
      Wir fordern die Regierung sowie die Wirtschaftsvertreter Österreichs auf, die Experten des Völkerbundes auf die oben dargetanen Tatsachen mit dem ihrer Wichtigkeit entsprechenden Nachdruck hinzuweisen."

Die Salzburger Handelskammer nimmt zur Frage des wirtschaftlichen Anschlusses in einem ausführlichen Bericht im Jahre 1926 Stellung. Darinnen heißt es:

      "Es handelt sich also... einzig und allein darum, ob unter Aufopferung von – sagen wir zum Beispiel – 25% der Wirtschaftsbetriebe dem Rest von 75% tatsächlich dauernde reelle Existenz- [577] bedingungen gesichert werden können, oder ob man aus Scheu, irgendwelche Opfer bringen zu müssen, 100% dem offenkundigen unabwendbaren Siechtum anheimfallen lassen soll... es ist gewiß erfreulich, daß dem Ruf der Kammer eine so große Anzahl von Berufsgruppen und Einzelbetrieben gefolgt ist und an der Bearbeitung des in Frage kommenden Materials tätigen Anteil genommen hat; es ist aber auch erfreulich, daß das Bekenntnis zum Leben, das sich in der Aufrollung der Anschlußfrage überhaupt äußert, in so kraftvoller Weise selbst von jenen Betrieben hervorgekehrt wurde, die aller Voraussicht nach gerade unter den durch den wirtschaftlichen Zusammenschluß begünstigten Betriebsgruppen nicht zu finden sein werden: nicht blinder Optimismus, sondern nur unbeugsamer Wille, selbst unter harten Grundvoraussetzungen, aber günstigeren Endbedingungen, mitzuarbeiten, konnte die im Durchschnitte sehr mutige und hoffnungsfrohe Einstellung zur wirtschaftlichen Anschlußfrage schaffen."

Das gleiche Motiv, jedoch vom gesamtösterreichischen Standpunkt aus gesehen, behandelt die Denkschrift der österreichisch-deutschen Arbeitsgemeinschaft Das österreichische Wirtschaftsproblem (Wien 1925, Hölder-Pichler). Im Auftrage der Siegerstaaten hatten zwei bekannte Volkswirtschafter, Layton und Rist, die Aufgabe übernommen, über die Lebensfähigkeit Österreichs ein Gutachten abzugeben; zweckmäßig sollten sie die Beweise für eine bejahende Antwort sammeln. Beide Herren traten mit anerkanntem Eifer mit den Führern und Organisatoren unserer Wirtschaft in Verbindung. Ihr offizielles Gutachten lautet dahin, daß Österreich zwar fähig sei, ein selbständiges wirtschaftliches Leben zu führen, daß es aber für absehbare Zeit ein Leben der Dürftigkeit sein werde. Für diese armselige Lebensfähigkeit konnten sie sich mit einem Scheine von Begründung nur damit aussprechen, daß sie annahmen, die Nachfolgestaaten werden über den freundlichen Rat der Sieger Österreich gegenüber ihre Zollpolitik ändern und uns zu einer gesteigerten Ausfuhr verhelfen. Die Denkschrift schildert mit wachsender Beweiskraft die Notwendigkeit, daß Österreich in ein großes Wirtschaftsgebiet eintrete, nicht bloß zum eigenen Vorteile, sondern auch zum Wohle für das ganze deutsche Volk. Die Denkschrift hat auch den Mut, vor die Zaghaften, die Bedenklichen, die Zweifler und Ängstlichen hinzutreten, ihre Sorgen zu zerstreuen und sie zu bewegen, in entscheidenden Schicksalsstunden Österreichs und [578] ganz Deutschlands nicht zurückzubleiben. Wir lesen da gegen den Schluß:

      "Es darf nicht geleugnet werden, daß beträchtliche Kreise der österreichischen Wirtschaft bei einer Vereinigung mit Deutschland die überlegene Konkurrenz der deutschen Industrie fürchten. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Unternehmungen der mittleren Industrie, die unfähig zum Export von dem, wenngleich kleinen, zollgeschützten inneren Markt leben. Die Furcht vor der deutschen Konkurrenz beruht zum großen Teil auf einer mangelhaften Vorstellung von der deutschen Wirtschaft. Was diese Furcht einflößt, sind die großen, technisch, kapitalistisch und kommerziell aufs beste ausgerüsteten deutschen Unternehmungen, die überall auf dem Weltmarkt als starke und schwer überwindliche Mitbewerber auftauchen und über Zollmauern hinweg den österreichischen Markt erobern. Dabei werden in der Regel unvergleichbare Unternehmungen verglichen. Auch in Österreich sind die maßgebenden Betriebe aller wichtigen Industriezweige technisch und kommerziell durchaus dem internationalen Wettbewerb und daher auch der deutschen Konkurrenz auf dem Weltmarkt gewachsen. Und man übersieht zumeist, daß in Deutschland selbst wie in allen Ländern neben den großen überlegenen Konzernen zahllose mittlere und kleine Fabriken in allen Industriezweigen bestehen und auf ihre Rechnung kommen. Man übersieht ferner, daß die Preise, bei denen die deutsche Konkurrenz daheim und im Export gefährlich wird, die deutschen Exportpreise, nicht die in der Regel wesentlich höheren Inlandpreise sind. Und nur diese kommen bei dem Anschluß an Deutschland für die österreichische Wirtschaft in Betracht. Innerhalb der Grenzen des Zollinlandes gibt es kein Dumping. Und man übersieht drittens und vor allem, daß mit dem Anschluß an Deutschland sich automatisch auch eine Vereinheitlichung der Produktionsbedingungen vollzieht, daß im gleichen Augenblick die österreichische Wirtschaft mit Löhnen, Steuern, Eisenbahntarifen, sozialen Lasten, Rohstoffpreisen und Absatzbedingungen zu rechnen hat, wie die Industrie in den anderen Teilen des Reiches, die untereinander viel größere Niveauverschiedenheiten aufweisen, als sie zwischen Deutschösterreich und dem Durchschnitt des Reiches bestehen. Dazu kommt schließlich, daß der Anschluß an das deutsche Wirtschaftsgebiet für alle österreichischen Wirtschaftszweige auch Anschluß an die gerade in den letzten Jahren hochentfaltete Organisation der deutschen Wirtschaft mit all ihren Vorteilen für Erzeuger und Verbraucher bedeutet.
[579]       Im übrigen sind die Interessen der meisten und wichtigsten österreichischen Industrie- und Gewerbezweige eindeutig auf den deutschen Markt gerichtet, so wie sie heute bereits im Export unter ungünstigen Bedingungen und zu schlechteren Preisen mit der deutschen Industrie konkurrieren müssen. Diesen Sachverhalt hat die von der Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft veranstaltete Enquete mit aller Eindeutigkeit ergeben. Das gilt für die ganze Schwerindustrie, für die Holz- und Sägewarenindustrie, für die Automobilindustrie, für die Baumwollindustrie, für die Konfektionsindustrie, für das ganze Qualitätsgewerbe, während andere mächtige Industriezweige, wie die elektrotechnische Industrie, ohnehin bereits größtenteils zu deutschen Konzernen gehören, oder, wie gewisse Zweige der Metallwarenindustrie, schon heute in Deutschland einen wichtigen Markt haben.
      Trotzdem wird der Anschluß an Deutschland wie jede politische Veränderung auch in der österreichischen Industrie gewisse Umschichtungen und organisatorische Veränderungen hervorrufen, wie sie der staatliche Zerfall der alten Monarchie in vielfach größerem Ausmaß auch hervorgerufen hat... Aber die Opfer, die damit verbunden sein mögen, sind unverhältnismäßig gering neben den Vorteilen geistiger, moralischer und wirtschaftlicher Art, die der Anschluß an Deutschland mit sich bringen würde.
      Denn wenn auch eine wirtschaftliche Argumentation sich auf die wirtschaftlich-materiellen Gesichtspunkte beschränkt, so darf das nicht die grundlegende, entscheidende Erkenntnis verdunkeln, daß die wichtigsten ausschlaggebenden Kräfte im Leben der Völker moralischer und geistiger Art sind und auch das österreichische Volk nicht früher seine Kräfte und Fähigkeiten zu entfalten vermag, als bis man ihm die Möglichkeit gibt, seiner Natur gemäß, frei von künstlichen Fesseln, wie andere glücklichere Völker seiner nationalen, deutschen Bestimmung zu leben. Jede Vergewaltigung der Natur rächt sich nicht nur an ihrem Opfer, sondern auch an denen, die sie begehen. Europa wird nicht anders als durch den Anschluß Österreichs an Deutschland von einem österreichischen Problem befreit werden."

Seit 1925, als diese Sätze geschrieben wurden, ging die Entwicklung in Österreich ihren harten, zwangsläufigen Gang weiter. Die wirtschaftliche Not fordert ständig neue Opfer, und Industrien, die bisher, scheinbar wenigstens, unberührt geblieben waren, wurden in die Krise wie in einen Wirbel der Donau hineingezogen, denen [580] nur gute Schwimmer heil entrinnen. Österreich hatte schon früher seine erste Absicht, die Zölle möglichst niedrig zu halten, aufgegeben und verhandelt im Nationalrat einen neuen Zolltarif mit bedeutend gesteigerten Zollsätzen, augenblicklich das einzige Abwehrmittel, wohl wissend, daß damit nur auf einige Zeit geholfen wird, so wie man dem Herzschwachen ein Kräftigungsmittel gibt. Daraus aber steigt immer deutlicher die Erkenntnis über das Nebelmeer hinaus, daß wir als kleiner Staat allein zu schwach sind für die Dauer uns zu halten, ein kleiner Segler im aufgepeitschten Meer und ringsumher gefährliche Klippen. Nur noch große Dampfer können auf lange Sicht sich halten. Das wissen auch unsere Nachbarn und in freundschaftlicher Form kommt bald von da, bald von dort ein einladender Ruf. 1928 lud der südslawische Außenminister, Dr. Marinkovic, Österreich ein, sich dem wirtschaftlichen System der Kleinen Entente anzuschließen. Es war eine Tat, als der Bundeskanzler Dr. Seipel im Nationalrate die Antwort darauf gab: "nur zusammen mit dem Deutschen Reiche". Wer, wie der Verfasser, die Kämpfe im Reichstage der alten Monarchie mitgemacht hat, die Beunruhigung und Gefährdung unserer österreichischen Wirtschaft, wenn der Termin wieder fällig war für den österreichisch-ungarischen Ausgleich, wenn man harte Bedingungen unterschreiben mußte, um zu verhindern, daß der Partner mitten in ein altes Wirtschaftsgebiet Zollschranken errichtet, ist zur festen Erkenntnis gekommen, daß es eine Verirrung wäre, mit einem Staate anderer Sprache, anderer Volksart, anderer Wirtschafts- und Lebensauffassung, eine Zollvereinigung zu schließen. Gute Freundschaft, freundschaftliche Handelsverträge, nachbarliches Verstehen – alles das ist erstrebenswert und für beide Teile von Vorteil; eine Zollvereinigung aber können vorläufig nur Partner des gleichen Volksstammes schließen. Die völkische Minderheit wird immer draufzahlen, auch wenn sie anfangs vielleicht der tüchtigere Teil ist; so wie das heutige Österreich die Nachfolgestaaten erzogen und großgemacht hat und heute in ihrem Kreise am schwersten sich durchringen muß. Für die Erreichung unseres Zieles, die wirtschaftliche Einheit des deutschen Volkes, sind aber auch Einladungen von anderer Seite von nicht zu unterschätzendem Werte, denn es liegt in ihnen doch die Erkenntnis, daß Österreich mit Recht die Verbindung mit einem größeren Wirtschaftsgebiete sucht und braucht.


[581] Der Weg zum Ziel. Würde es sich um zwei gutsituierte Partner handeln, würden in beiden Ländern alle Fabrikschlote rauchen, würde kein Arbeitsloser vergebens einen Platz suchen, dann wäre ein wirtschaftlicher Zusammenschluß des deutschen Volkes viel leichter. So aber ist alles anders und daher auch der Weg mühsamer.

In den zehn vergangenen Jahren ist viele sorgfältige Kleinarbeit geleistet worden, selbstlos und meistens ganz in der Stille, um die beiden Staaten gegenseitig sich immer näher zu bringen und um Gesetze und Pläne einander anzugleichen. Während die politische Anschlußbewegung der ersten Nachkriegszeit ganz in den Hintergrund trat, indem sie von einer völkischen und kulturellen Welle abgelöst wurde, steht seit 1925 etwa das Problem der wirtschaftlichen Vereinigung auf der Tagesordnung. Die Arbeitsgemeinschaften im Reiche und bei uns griffen das Thema auf, das ebensolche Förderung erfährt durch die "Delegation für den wirtschaftlichen Zusammenschluß", welche über 140 wirtschaftliche Verbände und Genossenschaften Österreichs vereinigt. Gleichzeitig mit ihnen arbeiteten die Handelskammern in Österreich und im Reiche, die Hauptverbände der Industrien ließen das Ziel nicht mehr aus dem Auge; in Düsseldorf bildete sich 1929 ein Reichswirtschaftsausschuß der Arbeitsgemeinschaften, und während die Handelskammern beider Staaten in Salzburg und in Frankfurt schon so miteinander berieten und verhandelten, als gehörten sie zu einer wirtschaftlichen Einheit, haben die Landwirtschaftskammern von hüben und drüben in gleicher Weise gesucht, die Tatsachen der Landwirtschaft zu erkennen und ihren Zusammenschluß vorzubereiten. Auch unsere Arbeiterkammern wandern in der gleichen Zielrichtung, nachdem Detailstudien ihnen die Richtigkeit des Weges bewiesen haben.

Viele wertvolle Arbeit, viele Verbindungen und Brücken wurden hergestellt; alles das erwies sich aber als zu schwach, als 1928 die Unterhändler beider Staaten in Wien zusammenkamen, um über den Abschluß eines neuen Handelsvertrages zu beraten. Wie 1852 der Handelsvertrag ganz vom Geiste des bald zu folgenden wirtschaftlichen Zusammenschlusses Österreichs und Deutschlands diktiert war, so hofften viele unter uns, daß vor aller Welt ein entscheidender Schritt zur Wirtschaftseinheit gemacht werde.

Anstatt dessen brachten eines Tages die Morgenblätter die kurze Nachricht, daß die Verhandlungen abgebrochen worden seien und die Unterhändler Wien verlassen hätten.

[582] Unsere Handelsbeziehungen mit dem Reiche bewegen sich erfreulicherweise in aufsteigender Linie; das Deutsche Reich ist für uns der größte Lieferant und anderseits auch der stärkste Einkäufer. Die schwierige wirtschaftliche Lage Österreichs drückt sich in Ziffern am deutlichsten aus, daß wir jährlich rund mit einem Passivum der Handelsbilanz in der Höhe von 1000 Millionen Schilling abschließen, wovon über 300 Millionen Schilling im Handelsverkehr mit dem Deutschen Reich auflaufen, mit anderen Worten, wir kaufen jährlich um 300 Millionen Schilling vom Reiche mehr an Waren ein, als dieses bei uns kauft. Diese Tatsache berechtigt Österreich zu der Erwartung, daß das viel stärkere Deutsche Reich uns möglichst entgegenkomme; jeder andere gleichwertige Handelspartner würde diese Erwartung vielleicht in Form einer Forderung ausdrücken, wenn auch gar keine anderen völkischen oder geschichtlichen Beziehungen beständen und niemand davon spräche, ein gemeinsames Wirtschaftsgebiet anzustreben.

Es muß festgestellt werden, daß das Reich in einem sehr wichtigen Punkte seit 1924 dieses besondere Entgegenkommen praktisch bekundet hat, und zwar in einer Form, die für den ganzen weiteren Weg der wirtschaftlichen Annäherung und schließlichen Vereinigung von größter Bedeutung ist.

Der Form nach handelt es sich um den Grenzverkehr; beide Staaten schlossen miteinander ein Tierseuchenübereinkommen, welches den Verkehr mit Vieh regelte. Die schmale langgezogene Form des westlichen Österreich, die einerseits eine Schwierigkeit ist, bringt auf der anderen Seite den Vorteil, daß die ganzen Alpenländer als Grenzgebiet zu betrachten sind, dem gegenüber Bayern und Württemberg steht, wo die gleichen Rinder- und Pferderassen gezüchtet werden, die an anderen Grenzen des Reiches nicht vorkommen. So war es möglich, die für Rinder und Pferde aus diesem Grenzverkehr geltenden Zollsätze so herabzusetzen, daß sie keine nennenswerte Hemmung im Handelsverkehr zwischen beiden Staaten sind und das alles, ohne daß von irgendeiner Seite ein gleicher Vertrag unter Berufung auf die Meistbegünstigungsklausel verlangt werden konnte. Die tschechoslowakische Republik hat an das Reich wiederholt die Anregung ergehen lassen, ein gleiches Übereinkommen abzuschließen, doch blieb das Reich dabei, nur mit Österreich allein diese Sonderbeziehung aufrechtzuerhalten.

[583] Ganz frei ist der Verkehr in diesem Grenzgebiete freilich noch nicht, denn für jedes Stück Vieh, das in das Reich verkauft wird, muß eine Einfuhrbewilligung beschafft werden und in den letzten Jahren wurde österreichischerseits Klage darüber geführt, daß in einzelnen, für den Grenzverkehr offenen Bezirken die Ausstellung der Einfuhrbewilligungen sehr erschwert sei. In München und in Salzburg saßen 1929 Landwirte beider Staaten und Regierungsvertreter beisammen, um über die Wünsche der Österreicher hinsichtlich dieses Grenzverkehrs zu beraten. Unsere Grenznachbarn wiesen darauf hin, daß auch sie eine schwere wirtschaftliche Krise durchmachen und daß sie eine starke Einfuhr von österreichischem Vieh drückend empfinden. Erst bei der Salzburger Konferenz gelang es, den Blick in die Weite zu lenken, die deutsche Zusammengehörigkeit konnte betont werden und man ging auseinander mit der guten Absicht, den österreichischen Bauern möglichst entgegenzukommen. Die Berliner Unterhändler konnten ersehen, daß die Durchführung dieses Sonderübereinkommens eine Verbesserung erfahren darf, ohne daß vom Grenzland Bayern besondere Proteste zu befürchten sind. Es muß anerkannt werden, daß Bayern im neuen Handelsvertrag wegen dieses Übereinkommens eine weitere Belastung auf sich genommen hat und unseren Österreichern muß doch auch in das Gedächtnis zurückgerufen werden, daß dieser außerordentliche Grenzverkehr als ein besonderes Entgegenkommen Österreich gegenüber gebucht werden muß.

Wird das Tierseuchenübereinkommen noch etwas ausgebaut, der Wirkungskreis auf deutscher Seite erweitert und die praktische Durchführung möglichst erleichtert, dann haben wir auf diesem Gebiete tatsächlich den ersten Schritt der wirtschaftlichen Vereinigung.

Bei den Verhandlungen der beiderseitigen Interessenten dieser Grenzgebiete kommt es regelmäßig zu einer lebhafteren Debatte, wenn es sich um den Handelsverkehr mit landwirtschaftlichen Produkten handelt, an dem jeder einzelne Landwirt, auch der kleine, persönlich interessiert ist, weshalb die Stellungnahme, Forderungen oder Einsprüche meist viel lauter, manchmal sehr leidenschaftlich und heftiger erhoben werden, als wenn nur die Inhaber einzelner Industriebetriebe oder Industriegruppen zum Worte kommen. Viehzüchter und Milchlieferanten, Waldbesitz und Sägewerke hüben und drüben: jede Änderung betrachtet oder erklärt einer von beiden als [584] Härte und Schädigung, die in der Vorstellung fast immer viel größer erscheint, als sie in Wirklichkeit ist. Bei allen diesen Fragen wird man die Beobachtung machen, daß die unmittelbar Beteiligten niemals zu einer einverständlichen letzten Stellungnahme kommen. Da muß ein Dritter ein Machtwort sprechen. Die Beteiligten werden fast nie zugeben, daß sie zufrieden sind; es ist das auch nicht notwendig. Notwendig ist nur, daß die entscheidende Stelle den Sachverhalt gut kennt und sich bemüht, einen möglichst gerechten Ausgleich zu erzielen.

Ein schwieriger Gegenstand bei den letzten Handelsvertragsverhandlungen bildet der Versuch österreichischerseits, einige Zollsätze für Artikel zu erhöhen, die fast ganz oder bis zu drei Viertel vom Reiche bisher geliefert wurden. Diese Zollerhöhungen sollen den Zweck erreichen, bei Umstellung unserer Betriebe auf eine andere Produktionsgattung diese zu schützen vor der älteren reichsdeutschen Konkurrenz; oder aber es wird von einer ganz neuen Seite der Versuch gemacht, in einem Industriegebiet mit vielen Arbeitslosen und leerstehenden Gebäuden eine neue Industrie einzuführen.

Es kann nicht geleugnet werden, daß diese Umstände beachtet werden müssen. Das könnte man nicht gelten lassen, wenn wir schon länger wie unsere anderen Nachbarn für aufstrebende Industrien einen Schutzzoll gehabt hätten. Da wir unseren Zolltarif nur langsam aufbauten und erst zur Zeit einzelne Sätze auf die Höhe der Nachbarn bringen und damit der Industrie einen Schutz bieten, so ergibt sich etwa folgender Gesichtspunkt zur Beurteilung dieser Frage. Wenn es mit Einführung eines vernünftigen Schutzzolles möglich ist, eine größere Industrie in Österreich zu gründen, ohne daß die Preise der Artikel zu hoch steigen oder das Produkt verschlechtert wird, so erscheint es begründet, daß solche Industrien einige Zeit gefördert werden mit Rücksicht auf die große Arbeitslosigkeit und die passive Handelsbilanz. Für alle diese Versuche aber müßte eine Zeit festgesetzt werden, denn sonst würde der Fall eintreten, daß immer wieder "im Interesse der heimischen Industrie" neue Forderungen auf dem Gebiete der Zollpolitik gestellt werden. Dadurch kommen wir nie zu einer wirtschaftlichen Ruhe und gerade in der großen Bewegung für die Zolleinigung ergeben sich daraus immer wieder neue Hemmungen, bald bei uns, bald im Reich, je nachdem die Entscheidung fällt.

[585] Diese Verstimmungen darf man nicht übersehen. Als der letzte Handelsvertrag 1930 so ganz plötzlich der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, gab es sehr viele enttäuschte Gesichter, und manche, die durchaus für den Anschluß eintraten, bekamen ihre bedenklichen Zweifel. Viele hatten eben zuviel erwartet, mehr, als was wir beim gegenwärtigen Stand der Vorbereitung verdienen. Und dann wissen doch alle, wie schwer das Ringen im eigenen Staate unter den verschiedenen wirtschaftlichen Gruppen ist, wenn es sich um Zolltarife handelt und sie vergessen ganz, daß der gleiche Prozeß sich wiederholen muß, wenn zwei Staaten miteinander ihre Zollpolitik verhandeln. In diesen Verstimmungen und in dem Umstande, daß die Unzufriedenen immer mehr Lärm machen, liegt die Gefahr, welche für unsere große Bewegung gerade durch die Handelsverträge mit dem Reiche hervorgerufen wird und, es mag paradox klingen, hervorgerufen werden muß. Daher stärkerer Zug in der Zielrichtung, um möglichst bald aus der Gefahrenzone der Handelsverträge herauszukommen.

Ein Beispiel aus den jüngsten Tagen soll diese Auffassung begründen. Als der neue Handelsvertrag dem Nationalrate vorgelegt wurde, waren neben verschiedenen Industriellengruppen auch unsere Landwirte unzufrieden, denn sie hatten ein größeres Entgegenkommen im Rahmen des Veterinärabkommens und im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten erwartet. Sie übersahen dabei, daß jede Verbesserung zu unseren Gunsten für den nachbarlichen Landwirt im Reich eine weitere Belastung bedeutet und durchaus fühlbar wird, denn ihre Lage ist ähnlich der unseren und überdies noch durch Kriegslasten erschwert. Es ist nun interessant, die Stellungnahme unserer süddeutschen Landwirte kennenzulernen. Bei den Verhandlungen des handelspolitischen Ausschusses des Reichstages führte Abgeordneter Gerauer der bayrischen Volkspartei zum deutsch-österreichischen Handelsvertrag etwa folgendes aus:

Es handle sich bei diesem Vertrag um eine Begünstigung des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte von Österreich nach Deutschland. Der ganze Vertrag treffe speziell die süddeutschen Länder, namentlich Bayern, sehr schwer. Was die Viehwirtschaft anlange, so trete durch diesen Vertrag eine Änderung insofern ein, als die Einfuhrerlaubnis von Österreich für Nutz- und Schlachtvieh auf weitere drei bayrische Bezirke ausgedehnt wird. Dabei werde insbesondere deshalb, weil diese Bezirke die Peripherie von München bilden, die Einfuhr von Milchvieh aus Vorarlberg, Tirol und anderen österreichi- [586] schen Ländern sehr bevorzugt werden und zweifelsohne zu einem Rückgange des Absatzes von bayrischem Milchvieh führen. Auch der weitere Umstand, daß in diesen Bezirken jeder Landwirt bis zu einem Drittel seines Viehstandes aus Österreich einführen kann, bedeute eine große Gefahr für die bayrische Landwirtschaft. Von einem Entgegenkommen Österreichs gegenüber dem bayrischen Nachbarland hinsichtlich des Einkaufes von Zuchtvieh in Bayern hat man leider bis jetzt noch nichts gemerkt. Auch durch die Meistbegünstigung bestehe eine erneute Gefahr für das bayrische Schlachtvieh.

Vielleicht noch ungünstiger wirke sich der Vertrag auf dem deutschen Holzmarkt aus. Infolge der großen Entfernung zwischen den hauptsächlichsten Produktionsgebieten Bayerns und den Hauptkonsumgebieten Norddeutschlands sind die Holzpreise in Bayern ohnehin sehr stark gedrückt. Es mangelt an entsprechender Nachfrage. Durch die Herabsetzung des Einfuhrzolles für österreichisches Holz von M 8,– auf M 5,10 pro Tonne werden die Holzpreise in Bayern noch weiter herabgedrückt. Besonders auffällig ist, daß die Reichsbahnverwaltung einen verhältnismäßig sehr großen Teil der Eisenbahnschwellen aus Österreich bezieht, so daß deutsche Ware kaum absetzbar ist. Besonders bedrohlich werde die Lage für die Sägewerksbesitzer an der Reichsgrenze, die bis jetzt noch zu den steuerkräftigsten Betrieben gehörten und die Konkurrenz von Österreich her kaum aushalten können. Wenn man die beiderseitigen Ein- und Ausfuhrziffern vergleiche, so müsse man feststellen, daß eine Steigerung der deutschen Ausfuhr bis jetzt überhaupt nicht zu verzeichnen ist. Die Vergünstigungen für den Absatz einzelner deutscher Produkte nach Österreich, wie z. B. von Molkereiprodukten, Würsten usw., seien nicht imstande, die Benachteiligung der deutschen landwirtschaftlichen Produkte auszugleichen.

"Trotzdem", so schloß Gerauer seine Ausführungen, "wird die bayrische Volkspartei diesem Vertrag ihre Zustimmung nicht versagen, und zwar deshalb nicht, weil sie diesen Vertrag nicht bloß vom wirtschaftlichen, sondern in erster Linie von ideellen und völkischen Gesichtspunkten aus betrachtet, und als eine Vorbereitung dafür, daß endlich einmal die Zollschranken zwischen den beiden Bruderländern fallen werden, und als einen weiteren Schritt zu einer endgül- [587] tigen Vereinigung der beiden stammverwandten Völker."

Wenn alle oder wenigstens alle Maßgebenden so denken und demgemäß auch so handeln würden, dann wären wir bald am Ziele.

Bei vielen Bergbesteigungen ist das letzte Stück des Weges das schwierigste. So auch in unserem Falle.

Sollen wir vorerst auf Präferenzzölle hinarbeiten, das heißt auf eine besondere Bevorzugung, welche die beiden deutschen Staaten sich gegenseitig gewähren, ohne daß ein dritter Staat denselben Zollsatz bekommen muß? Das ist nur möglich, wenn in allen Handelsverträgen, die Österreich oder das Reich mit anderen Staaten geschlossen haben und in welchen die sogenannte Meistbegünstigungsklausel aufgenommen wurde, diese für wirkungslos erklärt wird, wenn es sich um Zölle zwischen den beiden deutschen Staaten handelt. In Handelsverträgen mehrerer anderer Staaten befinden sich solche Klauseln, die ihre Begründung in einer benachbarten Wirtschaft oder besonderen politischen oder geschichtlichen Beziehungen haben. So gibt es zwischen Spanien und Portugal, zwischen Schweden, Norwegen und Dänemark und zwischen den baltischen Staaten solche besondere handelspolitische Beziehungen, und die ganze Welt müßte es ebenso begreiflich als wohlbegründet finden, daß das Deutsche Reich und Österreich in den Handelsverträgen mit anderen Staaten die "deutsche Klausel" einführen. Dadurch wird keiner der anderen Vertragschließenden geschädigt. Einem der schwachen Staaten, das ist unser Österreich, könnte damit eine Hilfe erwachsen, weshalb der Versuch erwägenswert wäre, an alle Staaten, mit welchen man eine Meistbegünstigungsklausel vereinbart hat, mit dem Antrage heranzutreten, vor Ablauf der Handelsverträge die deutsche Klausel als wirksam gelten zu lassen. Ist das nicht möglich, dann müßte bei jedem neuen Handelsvertrag die deutsche Klausel unbedingt verlangt werden. Bis zur Erneuerung aller Verträge aber müßte man alle Möglichkeiten eines gegenseitigen Entgegenkommens ausschöpfen, denn es gibt noch manche, ähnlich dem Veterinärübereinkommen im alpenländischen Grenzgebiet.

Bei alledem aber muß allen immer und überall das Ziel der Zolleinigung vorschweben.

Diese Gedankengänge haben in den letzten Jahren viele Männer der Wirtschaft und viele Korporationen vertreten; es ist notwendig, [588] daß das Bestreben, zu einer wirtschaftlichen Vereinigung beider Staaten zu gelangen, in den letzten Instanzen eine stärkere Förderung erfährt. Was bisher geschah, war wertvolle und notwendige Vorarbeit und es ist zweifellos hoch einzuschätzen, wenn 1929 der deutsche Reichstag – wie ja auch wiederholt der österreichische Nationalrat – den einmütigen Beschluß gefaßt hat, man müsse auf die Zolleinigung hinarbeiten.

Im Herbst 1930 kam aus dem Osten Europas ganz überraschend eine Meldung, die überall größte Beachtung fand: In Sinaia hatten Minister von Rumänien und von Jugoslawien miteinander längere Beratungen gepflogen, und teilten als deren Ergebnis der ganzen Welt mit, daß sie entschlossen sind, auf eine Zollunion zwischen ihren beiden Staaten hinzuarbeiten. Beide hätten wirtschaftlich eine gleichartige Konstruktion, beide dieselben Schwierigkeiten im Absatz ihrer Agrarprodukte, weshalb sie in Zukunft zu diesen Fragen gemeinsam und einheitlich Stellung nehmen wollen.

Dieselben Motive, welche Österreich und das Reich mahnen, zusammenzugehen, galten auch für die beiden Balkanstaaten. Ihre klare Stellungnahme ist eine große Rechtfertigung für alle in Österreich und im Reiche, welche den wirtschaftlichen Zusammenschluß anstreben. Seit langer Zeit aber haben diese Bestrebungen keine so wirksame Förderung, Rechtfertigung und Unterstützung gefunden, wie in dem Vertrage von Sinaia.

Bald darauf lud Polen die Agrarstaaten Osteuropas ein zu einer gemeinsamen Beratung, sichtlich angeregt durch die Beschlüsse von Sinaia. Auf der Tagesordnung standen ähnliche Probleme. Die gemeinsame Not und die Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird auch hier eine Lösung finden und Staaten wirtschaftlich zusammenbringen, die bisher als Konkurrenten durchaus keine Freunde waren. So entwickeln sich in Europa größere Gruppen, wirtschaftlich geeinigt, trotz politischer Grenzen. Um so dringender müssen wir Deutsche aber nun den vorgeschriebenen Weg gehen, den auch die im Osten gehen wollen, rasch und ohne lange sich durch Bedenken hinhalten zu lassen.

Wir dürfen uns über die Haltung unserer östlichen Nachbarn aufrichtig freuen, weil dadurch der Prozeß der Gesundung Europas gefördert wird; ist er einmal ein Stück weit vorgeschritten und haben Europas Völker den Vorteil und die Richtigkeit dieses Weges einmal [589] erkannt, dann wird es keinen europäischen Krieg mehr geben, und Europa wird das Ziel erreichen, das ganz allein es in dem Ringen der Weltwirtschaft retten kann.

Unsere Regierungen müssen nun das Wort nehmen, oder vielleicht noch besser, schweigend zur Tat schreiten; und die führenden Köpfe in der Industrie und in den Korporationen müssen aus dem mehr betrachtenden und schauenden Leben in das tätige übergehen. Da gerade in wirtschaftlichen Fragen bei widerstreitenden Interessen die Beamtenschaft oft in einer schwierigen Lage ist und begreiflicherweise zaudert, eine klare Stellung einzunehmen, weil man sich dadurch manchmal Gegner schafft, so müßte diese Tatsache von allen denen berücksichtigt werden, welche berufen sind, für eine Stellungnahme die Verantwortung zu übernehmen. Diesen Gedanken kann man nicht besser ausdrücken, als dies mit folgenden Worten ein führender österreichischer Politiker tat:

      "Es gibt wirtschaftliche Aufgaben, die nach unmittelbaren Lösungen drängen und zu solchen Lösungen auch schon herangereift sind. Diese wirtschaftlichen Arbeiten werden in der Erkenntnis von der unabweisbaren Notwendigkeit zu positiven Ergebnissen nur gelangen, wenn sie von den Regierungen der beiden Staaten aufrichtig gestützt und energisch vorwärtsgetragen werden. Diese Arbeiten sollten daher auch nicht den Fachleuten überlassen bleiben, die der Natur der Sache nach von den Augenblicksforderungen ihrer heimischen Wirtschaftskreise allzusehr beeinflußt sind, sondern sie sollen in den Händen der politischen Exponenten zusammenlaufen, da nur von diesen erwartet und gefordert werden kann, daß sie diese Arbeiten in einem Geiste fördern, der, indem er sich über scheinbare Notwendigkeiten des Augenblickes zu erheben vermag, den wahren nationalen Interessen am besten dient."

Wenn Volk und Führer wollen und zusammenhalten, wird die Zolleinigung kommen; für die Dauer wird sie niemand aufhalten und uns niemand hindern können. Und wenn sie einmal da ist, dann wird sie den Starken in der Wirtschaft neue Wege hinaus zeigen, den Schwächeren neue Hoffnung bieten, in dem Ringen der Weltwirtschaft dem deutschen Volke eine bessere Chance bieten und mitten in Europa ein starker Hort des Friedens sein, auch allen Nachbarn zum Wohle, die gleichen Sinnes sind.


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Die Anschlußfrage
in ihrer kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung

Friedrich F. G. Kleinwaechter & Heinz von Paller