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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 3: Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern
im Jahre 1917
  (Forts.)

Generalmajor Rudolf v. Borries

[111] 6. Die Arrasschlacht.     Hierzu Skizze 3 (S. 113).

Am 7. April versuchten die Engländer, durch Vorstöße gegen die 4. Armee die Aufmerksamkeit von der Arrasfront abzulenken. Nach heftigem Artilleriefeuer auf dem ganzen Umfang des Ypern- und Wytschaetebogens, wobei zahlreiche Gasgranaten verwendet wurden, erfolgten beiderseits der Bahn Comines - Ypern und bei St. Eloi Sprengungen und Anstürme starker Abteilungen, die die Deutschen in einer Sehnenstellung auffingen. Am 9. April erwiderten diese den Stoß durch ein großes Streifunternehmen südöstlich von Ypern, das neben anderer Beute 47 Gefangene einbrachte.

Der Zweck der Irreführung wurde von den Engländern nicht erreicht; immerhin ergab sich die Notwendigkeit, die Möglichkeit größerer Kämpfe auch in Flandern ernstlich ins Auge zu fassen. Sie trat aber zurück hinter der Spannung, die die kommende Entladung bei Arras jeden Augenblick erwarten ließ. Bis zum 7. April waren in der Linie Angres - Neuville Vitasse 12 bis 14 englische Divisionen in tiefer Gliederung festgestellt. Außerdem mußte mit 20 Divisionen zur Ablösung und Nährung des Kampfes gerechnet werden.

Das Gefilde der Arrasschlacht wurde durch die unbedeutende Scarpe von Arras bis Douai in einen größeren nördlichen und einen kleineren südlichen Abschnitt geschieden. Nördlich lief die deutsche Stellung vom Souchez-Bach bis zur Scarpe östlich von Arras durch die Hochfläche, die von dem vielgenannten Orte Vimy an ihrem Ostrande den Namen trägt. Dieser Ostrand mit den Orten Givenchy, Vimy, Gavrelle fällt bald sanft, bald schroff zu der Ebene ab, in deren Mitte Douai gelegen ist. Südlich der Scarpe, wo die Stellung bis auf ein kurzes Stück unmittelbar südlich des Flusses durch die Siegfriedlinie gebildet wurde, ist das Höhengelände reicher gegliedert und zeigt wechselnde Bedeckung durch kleine Wälder, Buschwerk und Sümpfe. Die große Stadt Arras vor der deutschen Front lag längst in Ruinen, war aber für die Engländer als Straßenknotenpunkt, Unterkunftsort und Stapelplatz äußerst wichtig.

In der Nacht vom 8. zum 9. April vergaste der Feind zur Einleitung des ersten großen Sturmes bei unvermindertem Feuer große Teile der Stellungen, namentlich die Batterien. Die Wirkung war ungleich, aber in einzelnen Abschnitten erheblich, so daß Mannschaften und besonders Gespanne der Munitionsfahrzeuge ausfielen. Am 9. April setzte um 5 Uhr 30 Minuten morgens rasendes Trommelfeuer ein, dessen Stärke alles bisher Erfahrene, auch der Sommeschlacht, übertraf. Es faßte hauptsächlich die zweite und dritte Stellung, wirkte also in die Tiefe, während die erste Stellung mit Minen und Rauchbomben belegt, stellenweise auch gesprengt wurde. Um 7 Uhr stürmte die feindliche Infanterie in dichten Massen vor, während sich das Feuer vorwärts schob, und überrannte vom Souchez-Bach bis Neuville Vitasse, in einer Breite von 20 km, [112] die erste Stellung fast vollständig. Unter heftigen Kämpfen erreichte sie bis zum 10. April morgens die Linie Givenchy - Vimy - Bahndamm östlich Farbus - Bailleul - Gavrelle - Roeux - Höhe westlich Monchy - Wancourt. Nördlich der Scarpe wurden demgegenüber im allgemeinen die zweite, südlich von ihr die dritte Stellung gehalten. Gegenstöße waren von deutscher Seite wohl erfolgt, ein Gegenangriff kam aber vorläufig nicht zustande.

Am 10. April setzten die Engländer, die sich mit merklichem Ungeschick bewegten, die Angriffe mit Tanks hauptsächlich bei Farbus und südlich der Scarpe fort. Auf der Straße Arras - Cambrai ließen sie starke Kavallerie vorgehen. Alle Angriffe wurden verlustreich für die stürmenden Truppen abgewiesen, die Reiterei zersprengt. Nördlich der Angriffsfront war der Gegner gegen den rechten Flügel der 6. Armee mit starkem Artilleriefeuer und Streifunternehmungen tätig, südlich von ihr wurde die Siegfriedstellung heftig beschossen.

Am 11. April wurde um die Höhe westlich Monchy gekämpft, die am Vormittag in englische Hand fiel. Andere Stöße, besonders bei Vimy, und Kavallerieattacken bei Fampoux und auf Pelves scheiterten an der deutschen Abwehr. Gegen den rechten Flügel der 1. Armee zwischen Bullecourt und Quéant steigerte sich am Morgen das feindliche Feuer zu größter Stärke; vor- und nachmittags griffen dort die Engländer unter Einsatz von Tanks in immer wiederholten Stürmen an, wurden aber, obwohl ihnen auf Riencourt ein schmaler Einbruch gelang, mit schweren Einbußen abgewiesen. Neun Tanks von zwölf wurden vernichtet, fast 1200 Gefangene blieben in deutschem Besitz. In mustergültiger Weise hatten deutsche Infanterie und Artillerie zusammengewirkt, wobei ihnen der Schutz durch die Siegfriedstellung zu Hilfe kam.

Der Verlust der Höhe westlich Monchy veranlaßte die deutsche Führung, in der Nacht 11./12. April südlich des eingebüßten Geländes die Hauptverteidigung in die Linie Guémappe - Höhen südlich Wancourt zurückzunehmen.

Die Engländer griffen am 12. April nur auf einzelnen Frontstrecken an: bei Angres, Givenchy, südlich Vimy und bei Wancourt, wo abermals Kavallerie auftrat. Teilerfolge konnten größtenteils durch deutsche Gegenstöße ausgeglichen werden. Der Eindruck bestand damals, daß sich zwischen der Scarpe und Croisilles ein neuer großer Sturm vorbereite; der erste englische Ansturm schien jetzt aber erschöpft zu sein.

Zweifellos hatte der Gegner am 9. April einen bedeutenden Erfolg errungen, indem er stellenweise in mehr als 6 km Tiefe in die deutschen Stellungen einbrach. Es lag nahe, hierfür die biegsame Verteidigungsart verantwortlich zu machen, die zum ersten Male erprobt wurde. Nähere Prüfung der Geschehnisse ergab aber das Gegenteil. Der Mißerfolg der Abwehr beruhte darauf, daß in zwei wichtigen Punkten von den neuen Grundsätzen abgewichen worden war: die Batterien hatten sich in der Bekämpfung der feindlichen Angriffsmaßnahmen [113=Karte] [114] nicht genügend betätigt und die Reserven im Augenblick des Sturmes nicht nahe genug herangestanden.

Gelände der Arrasschlacht

[113]
      Skizze 3: Gelände der Arrasschlacht.

Die Artillerie war zum Teil erst kurz vor dem Sturm in die für sie vorbereiteten Stellungen eingerückt und noch nicht völlig auf die erhöhte Tätigkeit eingerichtet gewesen. Trübes Wetter hatten zudem Erkundung und Schußbeobachtung erschwert. Die feindliche Beschießung vom 8. April abends war so überwältigend, daß sofort starke Material- und Munitionsverluste eintraten. So erklärte sich die schwache Gegenwirkung vor dem Angriff und während des Sturmes; aber es hätte unzweifelhaft mehr geleistet werden können. Augenscheinlich wurden trotz der Spannung die den nahe bevorstehenden Losbruch andeutenden Momente nicht scharf genug erfaßt. Die Heranziehung der Reserven hatte die Heeresgruppe schon am 6. April der 6. Armee anbefohlen;6 die Vorführung war auch angeordnet, aber zum Teil nicht schnell genug durchgeführt, zum Teil durch Mißverständnisse verlangsamt worden. Auch hier hatte die Erkenntnis gefehlt, daß höchste Eile geboten war. Jedenfalls waren die Reserven am 9. April nicht zum Gegenstoß zur Stelle.

Nach Beginn des Sturmes am 9. April wies die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, tatkräftig eingreifend, die 6. Armee von neuem an, die verfügbaren Divisionen - nunmehr sieben - heranzuziehen und zur unmittelbaren Unterstützung oder zur Ablösung der angegriffenen Verbände zu benutzen. Vom 10. April an konnte mit dem Einsatz der schleunigst vorgeführten Teile gerechnet werden. Außerdem stellte sich die Heeresgruppe drei Divisionen zur eigenen Verfügung bereit und bildete aus neun Divisionen, die zumeist von anderen Fronten noch heranzuführen waren, ein zweites Ablösungstreffen. Auch neue schwere Batterien wurden aufgeboten, um die bisherigen Geschützverluste auszugleichen.

Alle diese Maßnahmen konnten aber den englischen Anfangserfolg nicht aus der Welt schaffen. Nördlich der Scarpe war es von besonderer Bedeutung, daß der Gegner im Besitz des Ostrandes der Vimy-Hochfläche die unter ihm gelegenen deutschen Linien beherrschte. Der Versuch, ihm dieses Übergewicht durch Gegenangriff zu nehmen und die Stellungen wieder auf die Höhe hinaufzuschieben, setzte sehr lange und umfassende Vorbereitungen voraus; die Lage drängte aber zur Tat. Der schwere Entschluß mußte gefaßt werden, die Verteidigung nach rückwärts vom Gegner abzusetzen, um erträgliche Verhältnisse zu schaffen. In der Nacht 12./13. April wurde die erste deutsche Linie nach Lens, Avion, Méricourt, Acheville, Arleux, Oppy, Gavrelle unangefochten zurückgenommen. Nachhuten blieben am Feinde und wichen erst dem feindlichen Druck. Für den Gegner ergab sich die Notwendigkeit, seine Artillerie nachzuziehen, bevor er zu neuen großen Stürmen schreiten konnte.

Wirklich trat zunächst eine gewisse Ruhe ein. Nur südlich der Scarpe erfolgten vom Fluß bis Croisilles am 13., 14. und 15. April Angriffe, die mit [115] erheblichen Verlusten für die Engländer abgewiesen wurden, und bei Wancourt erzielten sie einigen Geländegewinn, der am 16. April in deutsche Hand zurückfiel. Weiter südlich machten die Deutschen am 15. April einen erfolgreichen Vorstoß gegen die Linie Lagnicourt - Hermies.

Am 16. April belegten die Engländer den Abschnitt Arleux - Scarpe sowie den Raum südlich des Flusses mit heftigem Feuer und führten in den folgenden Tagen den Artilleriekampf auf der ganzen Front von Lens bis Quéant mit wachsender Steigerung, die bis zum 21. April hauptsächlich den rechten, von da an auch den linken Armeeflügel betraf, hielten sich aber mit der Infanterie zurück. Schon am 18. April war bei der deutschen Führung kein Zweifel mehr, daß ein neuer gewaltiger Anlauf, der zweite große Sturm, auf beiden Ufern der Scarpe bevorstand. Die Artillerie war auf dem Posten, bekämpfte kräftig die feindlichen Batterien und erstickte vereinzelte Kampfregungen der englischen Infanterie. Hinter der nunmehrigen, rein feldmäßigen ersten Stellung wurde eifrig an Zwischenlinien und Riegeln gearbeitet, die zur Wotanstellung7 überleiteten. Eine zweite Wotanlinie wurde dahinter in Angriff genommen, die den Ostrand von Lille, den Westrand von Douai und Marquion verbinden sollte.

Schwerer Granateinschlag im französischen Orte Oppy.
Schwerer Granateinschlag im französischen Orte Oppy, um den 14 Tage heiß gekämpft wurde.[Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 124.
Vom 21. April an wurde der Sturm auf der ganzen Front von Lens bis Moeuvres täglich erwartet, nachdem sich der Feind dicht an die deutsche Linie herangearbeitet und seine Artillerie stark vermehrt hatte. Am Nachmittag dieses Tages wurde ein Stoß bei Oppy zurückgewiesen. Am 22. April mittags verstärkte sich das Artilleriefeuer auf der Front von Lens bis Bullecourt, nahm nachmittags an Heftigkeit zu und schwoll am 23. April 6 Uhr morgens zum Trommelfeuer an. Bald darauf stürmte der Feind auf 30 km Breite an, wobei die Gegend von Méricourt, Acheville und Arleux weniger heftig betroffen wurde; Lens, Avion, Oppy, Gavrelle, Roeux und Guémappe waren die Brennpunkte. Nur zwischen Gavrelle und Roeux vermochte er gegen den erbitterten und erfolgreichen Widerstand einzubrechen, wurde aber nachmittags durch Gegenstöße wieder zurückgeworfen; sonst wurde die vordere Linie trotz einiger Schwankungen gehalten. Nachmittags 5 Uhr 30 Minuten erfolgte ein zweiter heftiger englischer Stoß von Oppy bis Fontaine les Croiselles. Das Ergebnis bestand nur in dem Gewinn von einigen 100 m Raum an der Straße Arras - Cambrai und in der Eroberung von Guémappe. Die Verluste des Feindes an diesem Tage waren ungewöhnlich schwer. Mit Recht konnte Kronprinz Rupprecht der 6. Armee, die in General Otto v. Below inzwischen einen neuen Oberbefehlshaber, in Oberst v. Loßberg einen neuen Chef des Generalstabes erhalten hatte, für ihre todesmutige und wirkungsvolle Abwehr höchstes Lob aussprechen und das tadellose Zusammenarbeiten der Waffen hervorheben.

Blick in das Schlachtfeld nach einem abgewiesenen englischen Großangriff.
Blick in das Schlachtfeld nach einem abgewiesenen
englischen Großangriff.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 126.
Noch aber hatte sich die Hochflut der englischen Stürme nicht verlaufen. [116] Während nördlich der Scarpe am 24. April nur um Gavrelle gekämpft wurde, griff der Feind südlich von ihr am Nachmittag auf der Strecke bis Bullecourt von neuem an, besonders an der Straße Arras - Cambrai, wo die deutsche Linie nachts noch weiter zurückverlegt worden war, scheiterte aber völlig; ebenso am 25. April, als er dort seinen Angriff um 4 Uhr 30 Minuten morgens wiederholte.

Der Gegner schien gerade südlich der Scarpe durchbrechen zu wollen, um Siegfried- und Wotanstellung, die bei Quéant ineinander übergingen, gleichzeitig im Rücken zu fassen. Er wiederholte seine Anläufe beiderseits der Straße Arras - Cambrai am 26. und 27. April, beide Male mit demselben Mißerfolge.

Großangriff der Engländer im April/Mai 1917 auf Lens.
Großangriff der Engländer im April/Mai 1917 auf
die französische Stadt Lens.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 135.

Die Hauptstraße der französischen Stadt Lens.
Die große Hauptstraße der sterbenden französischen Stadt Lens mit der vollkommen vernichteten Kathedrale. April/Mai 1917.      [Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 136.

Die Beschießung der Stadt Lens.
Die Beschießung der Stadt Lens.
Schwerer Einschlag in der bereits zerstörten Stadt.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 137.
Nördlich der Scarpe nahm am 26. April das Feuer zwischen Lens und Scarpe wieder bedeutend zu, faßte namentlich Arleux, Fresnoy, Oppy und steigerte sich am 27. April zu heftigsten Graden; die Gegenden von Lens und Roeux wurden vergast. Am 28. April setzte auf der ganzen Front morgens Trommelfeuer ein. Dann liefen die Engländer zum dritten großen Sturm in breiter Front von Lens bis Riencourt in dichten Wellen an, um abermals zu scheitern. Teilweise, so besonders auf den Flügeln, genügte schon das deutsche Vernichtungsfeuer zur Abwehr; wo der Feind eindrang, wie bei Oppy, wurde er wieder geworfen. Nur die Trümmer von Arleux wurden ihm überlassen.

Obwohl dem Gegner seit seinem Anfangserfolg am 9. April nur noch unwesentliche Fortschritte gelungen waren, mußte mit weiteren Stürmen gerechnet werden. Er hatte seine Angriffsdivisionen bisher nicht abgelöst, sondern nach kurzer Ruhe immer wieder vorgesandt, besaß also noch starke Kräfte im Rückhalt. Demgegenüber war die Heeresgruppe mit Ablösungsdivisionen so gestellt, daß sie den feindlichen Stößen mit zweimaligem Einsatz der Verteidigungsverbände bis Mitte Juni begegnen konnte.

Schon bald schien sich der Gegner zu neuem Durchbruchsversuch, dem vierten großen Sturm seit dem 9. April, zu rüsten. Vom 29. April an schwoll sein Artilleriefeuer allmählich wieder an, wurde aber durch die deutschen Batterien erfolgreich gedämpft. Mit kleinen Unternehmungen suchte der Feind vom 29. April bei Oppy, am 30. April östlich Monchy, am 1. Mai bei Lens Erfolge, wurde aber überall abgewiesen. In der Nacht zum 3. Mai nahm sein Feuer gewaltig zu; am frühen Morgen trommelt er mit äußerster Kraft auf den Linien von Lens bis Quéant, und um 5 Uhr 30 Minuten lief seine Infanterie von Acheville bis Quéant an. In Fresnoy, Oppy, Roeux, südlich der Straße Cambrai - Arras, bei Chérisy und Bullecourt brach sie ein; deutsche Gegenstöße machten ihr die Gewinne sofort streitig, der Kampf wogte hin und her, Oppy wechselte fünfmal den Besitzer. Der schmale englische Ertrag des Angriffs war der Besitz von Fresnoy und eines Nestes östlich von Bullecourt. In der Nacht zum 5. Mai und an diesem Tage ging der Kampf an einzelnen Brennpunkten weiter; am Abend war das englische Nest bei Bullecourt zum Teil wieder geräumt.

[117] Nach dieser erfolgreichen Abwehr trat verhältnismäßige Ruhe ein. Das feindliche Artilleriefeuer blieb lebhaft, bald hier, bald dort sich verstärkend; die Infanterie aber griff nur stellenweise an, so in der Nacht zum 6. Mai bei Avion und im Laufe des Tages bei Quéant, am 7. Mai bei Roeux, am 8. Mai zwischen Croisilles und Bullecourt. Ihre Anstrengungen blieben ergebnislos, dagegen gewann die deutsche Infanterie am 8. Mai das am 3. verlorengegangene Fresnoy zurück. Wiedereroberungsversuche des Gegners dauerten bis in den 9. Mai hinein; sie waren ohne Erfolg. Am 8. und 9. Mai wurde auch um Bullecourt heftig gekämpft, das zum kleinen Teil an die Engländer verloren ging.

Am 10. Mai herrschte infanteristisch ziemliche Ruhe; die englische Artillerie aber war gegen die deutschen Batterien sehr regsam und dehnte ihr Fernfeuer bis Douai aus. Westlich von Monchy wurden Tanks erkannt. Der fünfte große Sturm deutete sich an.

Schon am 11. Mai nachmittags erfolgten nach machtvoller Feuersteigerung Teilangriffe westlich und südlich Lens und beiderseits der Scarpe, die meist schon durch die Artillerie abgewehrt wurden; nur bei Roeux setzte der Feind sich fest. In den Frühstunden des 12. Mai überschüttete der Gegner die Stellung von Acheville bis Quéant mit gewaltigen Geschoßmassen; dann folgten neue Kämpfe um Roeux und drei schwere Angriffe südlich der Scarpe bis zur Straße Cambrai - Arras, die sämtlich scheiterten. Gleichzeitig tobte um Bullecourt ein wechselvolles Ringen, das mit dem Verbleiben des Dorfes in deutscher Hand endete. Die Engländer faßten hier immer wieder von neuem, aber stets ergebnislos zu. Der fünfte große Sturm war erledigt; der einzige englische Gewinn blieben Dorf und Bahnhof Roeux.

Am 13. Mai liefen die Engländer vergeblich bei und südlich Oppy und, dreiseitig umfassend, auf Bullecourt an, wurden aber abgewiesen. Am 14. und 15. Mai setzte sich der Kampf bei Bullecourt fort; aus dem Nest östlich des Dorfes ließen sich die Engländer nicht verjagen. Dagegen mußten sie am 15. Mai Dorf und Bahnhof Roeux räumen, um sie am 16. Mai wiederzugewinnen. Regnerisches Wetter beeinträchtigte fortan die Kämpfe. Freiwillig räumten die Deutschen in der Nacht zum 17. Mai das heißumstrittene Bullecourt, ohne daß der Feind nachstieß; dagegen stürmte er in der Gegend von Gavrelle dreimal vergeblich vor. Die Front Acheville - Gavrelle war auch in den nächsten Tagen sein Ziel; am 19. Mai griff er erfolglos bei Monchy an.

Am 20. Mai geschah der sechste und letzte große Sturm, der den vorausgegangenen großen Schlägen an Kraftentfaltung nahe kam. Von 6 Uhr morgens lag Trommelfeuer auf der Linie von Acheville bis Quéant; Angriffe erfolgten aber nur von Monchy bis Bullecourt. Mindestens fünfmal wiederholten sich die englischen Anstrengungen und setzten sich bis Mitternacht fort. Überall wurden sie abgewiesen, doch nahm die deutsche Führung auf einer kurzen Strecke die Truppen in die zweite Linie zurück, um klare Verhältnisse zu schaffen.

[118] Das Artilleriefeuer blieb auch in der Folge dauernd lebhaft und gab den Truppen keine Ruhe. Die feindliche Infanterie suchte nach wie vor südlich der Scarpe vorzudrücken, um dort den wichtigsten Knotenpunkt der deutschen Stellungen zu treffen. Am 21., 22., 24. und 27. Mai griff sie bei und aus Bullecourt, am 30. Mai und am 2. Juni bei Monchy erfolglos an. Dann sprang ihre Tätigkeit wieder auf das Nordufer der Scarpe über. Am 3. Juni suchte sie beiderseits des Souchezbaches, am 5. Juni über die Linie Gavrelle - Roeux vorwärts zu kommen und hatte südlich Gavrelle einen geringen Gewinn.

Am 7. Juni zeigte der Gegner durch seinen gewaltigen Sturm auf den Wytschaetebogen, daß er den Schwerpunkt seiner Angriffe weiter nach Norden zu verlegen gedachte. Die Ereignisse an der Arrasfront traten hinter der neuen schweren Belastung der Heeresgruppe in Flandern zurück.

Diese Wendung kam nicht überraschend. Die Angriffsvorbereitungen gegenüber der 4. Armee waren längst erkannt. Außerdem wurde Ende Mai festgestellt, daß der Feind seine Luftsperre südlich der Scarpe verstärkte und unter diesem Schleier einen Teil seiner Artillerie fortzog, und zwar aus Täuschungsgründen so, daß er aus den Batterien nur zwei bis drei Geschütze herausnahm. Augenscheinlich wollte er den Eindruck erwecken, als solle der Entscheidungskampf bei Arras weitergehen. Die Zahl der hier eingesetzten Divisionen verringerte er nicht wesentlich. Es mußte also auch nach dem Aufflammen des Vorspiels zur großen Flandernschlacht noch mit weiteren Angriffen bei Arras gerechnet werden, die zum mindesten bestimmt waren, deutsche Kräfte zu fesseln, wenn sie vielleicht auch den Durchbruch nicht mehr zum Ziele hatten.

Der vollständig zertrommelte vielgenannte Ort Vimy aus der Vogelschau.
Der vollständig zertrommelte vielgenannte Ort Vimy
aus der Vogelschau.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 130.
Der 7. Juni bezeichnete also nicht das Ende der Arraskämpfe, aber doch den Abschluß der großen Durchbruchsschlacht und die Endgültigkeit des deutschen Abwehrerfolges. Er hatte schwere Opfer an Gelände, Material und vor allem an Menschen erfordert. Auf einer Breite von 28 km war der Feind 5 bis 6, stellenweise 8 km vorwärtsgekommen, sah sich im Besitz der überragenden Vimy-Höhe und des rechten Flügels der Siegfriedstellung. Jetzt lief die deutsche Linie von Loos über Lens, Avion, Fresnoy, Roeux, Chérisy nach Fontaine les Croisilles und war östlich von Bullecourt zurückgewichen. Besonders durch seinen Anfangserfolg hatte der Feind viele Gefangene machen und zahlreiche Geschütze nehmen können. Die deutschen Gesamtverluste beliefen sich bis Ende Mai auf mehr als 85 000 Köpfe.

Für den Gegner aber waren die Ergebnisse gering und seine Einbußen groß. Die taktischen Ziele seines Durchbruchs lagen bei Douai und Cambrai, das strategische bei Mons. Nach zweimonatigem Ringen war er den ersteren um 5 bis 8 km näher gekommen und sah keine Möglichkeit, dies Ergebnis wesentlich zu erweitern. Das von ihm eroberte Gelände konnte in keiner Weise als strategisch wichtig bezeichnet werden. Er hatte wieder die Erfahrung machen müssen, daß selbst die stärkste Massierung von Kampfmitteln mit geradezu ver- [119] nichtend erscheinender Wirkung gegenüber den Deutschen höchstens einen Anfangserfolg ergab. Abermals mußte er feststellen, daß die Kunst der Führung nicht ausgereicht hatte, um durch die zerrissenen Linien des Gegners bis in das freie Gelände dahinter durchzustürmen. Dabei hatten ihm die Kämpfe bis Ende Mai mehr als 180 000 Mann Verluste gebracht, also das Doppelte, wie beim Verteidiger.

Für die deutsche Führung war der Abwehrsieg höchst bedeutungsvoll. Abgesehen von den Fehlern, die dem Feinde den ersten Einbruch wesentlich erleichterten, hatte sich die neue Art der Verteidigung bewährt. Insbesondere war sich die Infanterie des Vorteiles bewußt geworden, nicht in leicht zerschießbaren Gräben Schutz zu suchen, sondern sich durch Verteilung im Trichterfelde der feindlichen Sicht und dem feindlichen Feuer zu entziehen. Hierdurch ergab sich von selbst eine Tiefengliederung, die die Gegenstöße mit Hilfe der nahe herangehaltenen Reserven begünstigte. Es hatte sich auch gezeigt, daß freiwillige Zurückverlegung der Front - wie in der Nacht vom 12. zum 13. April - den feindlichen Angriffsschwung für einige Zeit zugunsten der Verteidigung zu lähmen vermochte. Die Artillerie hatte ihre Aufgabe erkannt, die feindlichen Batterien niederzuhalten und alle Angriffsregungen frühzeitig zu zerschlagen. Infanterie- und Artillerieflieger hatten durch ihre Nachrichten sichere Führung ermöglicht. Im Luftkampf erwies sich die rücksichtslose Initiative, wie sie besonders durch die Staffel des Rittmeisters Frhrn. v. Richthofen verkörpert wurde, dem Feinde nach wie vor als überlegen.

Von allen Truppen - kaum gab es eine Ausnahme - war heldenhaft gekämpft worden. Die deutsche Westfront hatte sich wieder gewaltiger Erschütterung gewachsen gezeigt. Der Einsichtige durfte sich sagen, daß der Siegfriedrückzug zu ihrer Abschwächung wesentlich beigetragen hatte. Das war der Truppe zugute gekommen, die bei den geringen Ersatzmöglichkeiten aus der Heimat große Verluste kaum noch ertragen konnte.


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Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte