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Englands politische Moral in Selbstzeugnissen. Friedrich 
Hussong.

Die Geschichte einer Räubernation

England hat die räuberischste Geschichte unter allen Nationen. Lassen wir darüber einen englischen Kronzeugen sprechen, dessen Wort kein Engländer wagen wird
John Robert Seeley
John Robert Seeley
[Bild: Dr. David Worsley, "Sir John Robert Seeley and His Intellectual Legacy"]
anzufechten, da gerade die englischen Imperialisten ihn als ihren Propheten auf den Schild erhoben und als den klassischen Darsteller des Werdens englischer Weltmacht. Es ist Sir J. R. Seeley, der Cambridger Historiker, den für seine Verdienste um den englischen Imperialismus das Königtum Englands geadelt, der Staat England auf jede Weise geehrt und den das gebildete englische Publikum für seine Werke über die "Expansion Englands" und über das "Wachstum der englischen Politik" mit der Glorie
Lord Halifax
Lord Halifax
[Fotoarchiv Scriptorium]
wissenschaftlicher Unfehlbarkeit bekleidet hat. Wie anders aber sein Zeugnis als das des edlen Lord Halifax, der inmitten der Anzettelung des polnischen Krieges gegen Deutschland, erfaßt von der englischen Seelenpest des Cant, im Oberhaus von der Entstehungsgeschichte des englischen Weltreiches sprach und dabei sich und den Seinen versicherte, überall wo es hinkam, habe England die Spuren der Freiheit hinterlassen und die englische Vergangenheit habe - anders als die deutsche, wollte Seine Lordschaft damit andeuten - nichts gemein mit der Unterdrückung der Freiheit und der Unabhängigkeit der Völker. Und das wagt Seine Lordschaft auszusprechen, während noch ein Ire, ein Ägypter, ein Bur, ein Inder, ein Araber auf Erden lebt und mit jedem Atemzug Zeugnis ablegt für die blutige Gewalt, die widerliche Heuchelei und das Sterben der Völkerfreiheit, die alle englische Vergangenheit und Gegenwart und jeden Werdeschritt des englischen Weltreiches begleiten.

Wie anders als der Cant seiner Lordschaft die Stimme der Wissenschaft und der Wahrheit, wie sie durch Sir Robert Seeley laut wird und nie mehr zum Schweigen gebracht werden kann. Wie anders das Wahrheitszeugnis des großen Cambridgers als die widerliche Heuchelweise jener sechs Oxforder Auch-Historiker, die vor fünfundzwanzig Jahren sich zusammentaten, um in einer Erklärung, die ein ewiges Brandmal englischer Wissenschaft bleiben wird, den Krieg der englischen Einkreisung und den großen Räuberüberfall auf Deutschland tugendhaft aufzufrisieren. "Wir bekämpfen", so versicherten die sechs Oxforder Herren, "Preußen im Namen der vornehmsten Sache, für die Menschen kämpfen können. Diese Sache ist das europäische Völkerrecht als der sichere Schild und Schirm aller Nationen, der großen und der kleinen, besonders aber der kleinen... Wir setzen uns ein für die Herrschaft des Rechts... wir sind ein Volk, in dessen Blut die Sache des Rechts das Lebenselement ist."

Lange bevor diese widerliche Heuchelei diesen Cant sang, hatte Sir Robert Seeley in seiner Expansion of England sie zum Gelächter gemacht. Er ist sich darüber klar, daß das englische Blut, dessen erstes und letztes Lebenselement angeblich der Durst nach Recht und Gerechtigkeit, vor allem für die Armen und Schwachen ist, "von Seeräubern und Wikingern herstammt", daß seit dem Beginn des englischen Weltreiches dessen "Helden selber, wie Francis Drake, Richard Grenville und John Hawkins kaum etwas anderes gewesen sind als Freibeuter, daß das Wachstum des englischen Weltreichs "ganz gewiß nicht sehr durch Gewissensbedenken gehemmt" ward, und daß, was etwa die Kolonialpolitik eines Cromwell betrifft, "moralische Vortrefflichkeit schwerlich eines ihrer Merkmale" war.

Cromwell
Cromwell
[Probert Encyclopaedia]
Für Cromwell war nach Seeleys und anderer maßgebender Engländer Zeugnis der Kampf für den Protestantismus außerhalb Englands nur ein Vorwand, ein Feigenblatt für die englische Eroberungsgier. "Cromwells Politik", so bezeugt der größte unter den patriotischen Geschichtsschreibern England, "hat hier eine ausgesprochen unbeschränkte und skrupellose Färbung. Rein aus eigener Willkür... stürzt er das Land in einen Krieg mit Spanien. Dieser Krieg wird begonnen nach Art der alten elisabethanischen Seeräuber durch einen plötzlichen Landungseinfall in San Domingo, ohne daß ein Streit oder eine Kriegserklärung vorausgegangen ist."

Konnte hier puritanischer Cant vor puritanischen Ohren mit der Heuchelei bestehen und sich allenfalls selbst betrügen, man kämpfe gegen Spanien als den papistischen Staat, so vertreibt Seeley den Stank dieser Lüge mit dem Atem der Wahrheit. "Den durchschlagenden Beweis, daß ein anderer Grund rasch jeden sonstigen verdrängt, nämlich die große Handelseifersucht, die durch die Eroberung der neuen Welt hervorgerufen wird, liefert die Tatsachie, daß durch das ganze mittlere 17. Jahrhundert auch England und Holland große Seekriege miteinander geführt haben von einem Charakter, wie er nie zuvor bekannt war." Hier war kein 'Papismus' mit im Spiel. Aber hier blieb das England aller Parteien und das England unter jedem Regime sich gleich. Die wegen ihrer Unsittlichkeit von den Engländern selbst soviel geschmähte Außenpolitik Carls II. war hier in Wahrheit ganz genau die Politik der Republik und des großen Usurpators Cromwell. Sie ward darum nach dessen Tod ja auch weiter unterstützt von seinen Anhängern, obgleich geführt von seinen Todfeinden. "Delenda Carthago - Carthago muß zerstört werden", das war unter Cromwell die Losung gegen Spanien. "Delenda Carthago" blieb danach die Losung gegen Holland, das auch die Puritaner ohne puritanische Bedenken mit Hilfe der Papisten zu zerstören suchten. "Delenda Carthago" blieb seitdem die englische Losung gegenüber jedem Staate, der
Anm. d. Scriptorium vom Mai 2003:
Diese "englische Losung gegenüber jedem Staate, der neben und trotz England zu eigener Stärke gedieh", fand im Zusammenhang mit Hitlers Deutschland ihren prägnantesten Ausdruck 1936 in Churchills Ausspruch zu dem amerikanischen General Wood: "Deutschland wird zu stark. Wir müssen es vernichten!" (Zit. in Bolko Frhr. v. Richthofen, Kriegsschuld 1939-1941.)
neben und trotz England zu eigener Stärke gedieh.
Es blieb am längsten die Losung gegen Frankreich; es ward endlich die wahre Losung des Weltkrieges gegen das kaiserliche Deutschland und ist heute nach dem Zusammenbruch Polens die in hysterischem Haß offen herausgeschrieene Losung der Chamberlain und Eden, der Winston Churchill und Duff Cooper bei dem Anschlag gegen das Deutschland Hitlers. Sinn und Folge all der von England angezettelten Kriege war schon im 17. Jahrhundert raffende Eroberung. Man nahm unter Cromwell den Spaniern Jamaika, unter Carl II. den Portugiesen Bombay und den Holländern New-York. So ging es und geht es noch heute. Aber, so tremolieren die tugendhaften sechs Oxforder Professoren, "wir sind ein Volk, in dessen Blut die Sache des Rechts das Lebenselement ist". Der klassische Geschichtsschreiber des englischen Imperialismus aber, Seeley, nennt die Begründer des englischen Empire "Bukanier", also Freibeuter, Seeräuber, schlechthin, und er bekennt: "Es liegt keine Verletzung der Wahrheit darin, wenn man ihnen den Leumund zuschreibt, den jener Name anzeigt, den Leumund nämlich, schonungslosen Plünderns zu Wasser, zu Lande, im Frieden und im Kriege."

Nach dem Gesetz, wonach die englische Weltreichspolitik mit der ersten Generation ihrer Seeräuber angetreten war, mußte sie "fort und fort gedeihen". Das ganze 13. Jahrhundert hindurch war die englische Expansion nach Seeley "ein aktives Prinzip der Friedensstörung, eine Ursache von Kriegen, die sowohl an Größe, wie an Zahl nicht ihresgleichen haben."

Indes die tugendtriefenden sechs Oxforder Kollegen Seeleys in der englischen Geschichte nur die Leidenschaft für das Recht wirksam sehen, legt er dar, daß Handel und Handelschaft ihr ganzer Sinn und Inhalt war, Handel nach der Methode der Seeräuberei. "Handel aber" schreibt Seeley, "der nach dieser Methode betrieben wird, ist fast identisch mit Krieg und muß notwendig Krieg im Gefolge haben. Was ist Eroberung, wenn nicht Aneignung von Territorien? Aneignung von Territorien aber wurde unter dem alten Kolonialsystem die oberste nationale Angelegenheit... Das Trachten nach Reichtum führte zu Streitigkeiten..., so daß Handel zu Krieg führte und Krieg den Handel förderte... Ich habe erklärt, daß die englischen Seekapitäne Seeräubern sehr ähnlich sahen, und wahrlich ist für England der Krieg durchweg eine Industrie, ein Weg zum Reichtum, das am meisten blühende Geschäft," - ob Seeley diese Blüte auch heute noch finden würde? - "die vorteilhafteste Kapitalsanlage der Zeit. Der spanische Krieg ist tatsächlich die Wiege des englischen Handels. Die erste Generation der Engländer, die Geld anzulegen suchte, legte es in jenem Krieg an." Der spanische Erbfolgekrieg, von puritanischem Cant als antipapistischer Religionskrieg getarnt, trägt nach Seeley einen "intensiv kommerziellen Charakter" und ist nach ihm "der reinste Geschäftskrieg von allen unseren Kriegen, und er wurde geführt im Interesse englischer Kaufleute, deren Geschäft und Lebensunterhalt auf dem Spiele stand".




 
Die Pest der Sklaverei

Nächst dem Geschäft des Kriegs blühte das des Sklavenhandels, für dessen Monopolisierung dasselbe England, in dessen "Blut die Sache des Rechts das Lebenselement" sein soll, nach Seeleys Zeugnis Krieg um Krieg führte; "eine lange Reihe von Kriegen, alle Angriffskriege", sagt er und fügt gelassen hinzu: "Es ist nicht leicht, das sittliche Verhalten derer zu billigen, die das größere Britannien aufgebaut haben". - Wie wird Ihnen, Lord Halifax? Es ist nicht leicht, aber Sie schaffen's. Seeley aber fährt fort: "Wir sehen, daß die Gründer des Empire nicht vorzugsweise anständige Motive gehabt haben, daß sie viel wilde Habgier entfaltet haben, daß sie durch moralische Skrupel sich wenig haben beunruhigen lassen." Was den Sklavenhandel betrifft, so wurde dieses Weltverbrechen, auf dem das englische Weltreich sehr wesentlich mitaufgebaut wurde, nach Seeleys Zeugnis "ein zentrales Objekt der englischen Politik; wir besudelten uns mehr als alle anderen Nationen mit den ungeheuerlichen und unsagbaren Greueln des Sklavenhandels".

Aber auch diese "unsagbaren Greuel", durch die von 1680 bis 1786 nach der geringsten Schätzung etwa 2.130.000, d. h. im jährlichen Durchschnitt etwa 20.000 Neger als Sklaven auf englischen Schiffen nach Amerika geschafft wurden, wußte puritanischer Cant tugendlich zu beschönigen damit, daß diese Heiden so dem Christentum näher gebracht würden. Als Mitte des 18. Jahrhunderts das Parlament von Jamaika aus Sicherheitsgründen eine Einschränkung der Negereinfuhr versuchte, genügte eine Gegenpetition der Sklavenhändler mit dem Argument, daß "der Sklavenhandel dem Wohlstand der englischen Nation zugute kommt", um das Begehren dieser Petition zu erfüllen. Einige Jahrzehnte später wurde ein Antrag der Quäker auf Abschaffung des Sklavenhandels im Unterhaus abgewiesen mit der Begründung: "Der Sklavenhandel ist für jede europäische Nation notwendig." Der neuere Geschichtsschreiber Holland Rose erzählt: "Die wenigen Menschen, die am Sklavenhandel Anstoß nahmen, verhöhnte die Menge als Verrückte."

Derselbe Rose berichtet, der Hafen von Liverpool verdanke vorzugsweise dem Sklavenhandel sein Aufblühen; denn von allen Geschäften war dies bei weitem das gewinnreichste. Der Gedanke, diesen Handel zu verbieten, erregte hier tiefste Empörung; nicht minder so in Bristol. Natürlich hing der englische Cant dieser Empörung ein national-tugendhaftes Mäntelchen um. "Personen von rednerischer Begabung schilderten in grellen Farben den Verfall von Groß-Britanniens Handelsmarine, die Abnahme des englischen Reichtums und das Elend einer Hungersnot durch das Aufhören des Sklavenhandels."

William Pitt, Earl of Chatham
Wm. Pitt, Earl of Chatham
[The Carnegie Library of Pittsburgh]
Die frommen englischen Kreise aber, die durch den Sklavenhandel und die unvermeidlich damit zusammenhängenden Sklavenjagden sich bereicherten, nahmen keinen Anstoß an all den Greueln. Sicherlich rühren von daher so manche Züge der besonderen Brutalität des englischen Reichtums. Der ältere Pitt, der spätere Graf von Chatham, rühmte sich noch persönlich und ohne jede sittliche Hemmung, seinen afrikanischen Eroberungen während des siebenjährigen Krieges sei die Monopolisierung des Sklavenhandels in britischen Händen zu verdanken.

W. H. Lecky aber, als Gelehrter und Schriftsteller von kaum geringerem Rang als Seeley, stimmt diesem bedingungslos zu in der Auffassung, daß der Sklavenhandel, dieses größte Verbrechen, einer der wichtigsten Grundsteine zum Bau des englischen Empires gewesen sei, dieses Empires, dessen Geschichte nach Lord Halifaxens Beteuerungen überall nur Spuren der Freiheit und der Menscheitsbeglückung zurückgelassen hat.

Hören wir dagegen den Zeugen Lecky die "sittlichen Segnungen" des Sklavenhandels etwas ausführlicher schildern: "Der englische Sklavenhandel begann erst 1713 seine volle Ausdehnung zu erreichen. Einer der wichtigsten und volkstümlichsten Teile des Utrechter Friedens war der sogenannte Assiento-Vertrag, durch den die britische Regierung ihren Untertanen auf dreißig Jahre ein vollständiges Monopol der Sklavenlieferung in die spanischen Kolonien sicherte... Das Monopol des Handels wurde der Südseekompagnie verliehen, und von dieser Zeit an wurde dessen Aufrechterhaltung und dessen Ausdehnung sowohl auf die spanischen Besitzungen wie auf die eigenen Kolonien ein Hauptziel der englischen Politik... Das Elend, das die Sklaverei bedeutete, kann sich in der Tat keine menschliche Einbildungskraft vorstellen, keine Feder kann es angemessen schildern. Herausgerissen aus den entferntesten Teilen Afrikas, ohne gemeinsame Sprache, ohne ein verknüpfendes Band außer dem des gemeinsamen Unglücks, getrennt von jeder alten Verbindung, von allem, was sie liebten, in vielen Fällen ein Leben ungebundener Freiheit vertauschend mit einer hoffnungslosen, verworfenen und erdrückenden Knechtschaft, wurden die elenden Gefangenen über die Wasserwüste geschleppt, in Schiffen, so überfüllt und ungesund, daß selbst unter günstigen Umständen etwa 12 v. H. gewöhnlich an dem Schrecken der Seefahrt starben. Sie hatten keine Kenntnis, keine Rechte, keinen Schutz gegen die Launen unverantwortlicher Macht. Die Verschiedenheit der Farbe und die Verschiedenheit der Religion führten ihre Herren dazu, sie nur wie Lasttiere anzusehen, und das Angebot von Sklaven war viel zu reichlich, als daß das eigene Interesse der Herren irgendeine wesentliche Sicherheit für ihre gute Behandlung hätte werden können. Oft schien es eher das Interesse des Herrn, sie rasch zu Tode zu arbeiten und dann seinen Bestand aufzufrischen. Ganz Afrika zuckte von inneren Kämpfen und wurde verheert von Banden eingeborener Sklavenhändler, welche die Opfer für den englischen Kaufmann zu Tode hetzten, dessen verpestender Einfluß, gleich einer bösen Vorsehung, über weite Gegenden sich erstreckte, in welchen nie das Gesicht eines weißen Mannes gesehen wurde... 'Es ist eine offenkundige und unbestrittene Tatsache, daß die englischen Pflanzer ihre Sklaven mit einem höheren Grade von Unmenschlichkeit behandeln oder behandeln lassen als die Pflanzer irgendeiner anderen europäischen Nation', bezeugt 1785 der Engländer Dean Tucker.... Vom Beginn des Krieges (von 1792) ab wurde der Sklavenhandel in den französischen und holländischen Kolonien durch die vollständige Überlegenheit Englands zur See nahezu vernichtet, und als diese Kolonien in den Besitz von England übergingen, erhob sich die folgenschwere Frage, oh man dem Handel, der solange unterbrochen gewesen war, erlauben sollte, wieder aufzuleben. Es stand in der Macht Pitts, dies durch eine 'Order in Council' zu verhindern. Es war ein wirtschaftliches Ziel, diese neuen Erwerbungen zu stärken, und da sie solange verhindert gewesen waren, sich mit Negern zu versehen, so waren sie bereit, jetzt noch mehr aufzunehmen als gewöhnlich. Das Ergebnis war, daß infolge der britischen Eroberungen und unter dem Schutz der englischen Flagge der Sklavenhandel tätiger wurde denn je. Englisches Kapital floß ihm reichlich zu. Man berechnet, daß unter der Pitt'schen Verwaltung der englische Sklavenhandel sich mehr als verdoppelt hat, und daß die Zahl der Sklaven, die jährlich in britischen Schiffen eingeführt wurden, von 25.000 auf 57.000 stieg."

Johann Heinrich Zedler
Johann Heinrich Zedler
[ADEVA/Graz]
Welche Gewalt aber die Heuchelei des Cant schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts auf das Ausland, allen voran natürlich auf das "thumbe" Deutschland übte, zeigt der Artikel aus dem Jahre 1740 in dem "Großen vollständigen Universal-Lexikon" von Johann Heinrich Zedler, der den englisch-puritanischen Cant einfach nachsingt und aus der grauenhaften Schmach des Sklavenhandels ein christliches Verdienst um die Seelen der armen Neger macht: "Dieser Handel scheinet zwar denen unmenschlich, welche nicht wissen, daß die armen Leute Heyden und Türken sind, und daß Christliche Kaufleute, wenn sie selbige von ihren Feinden kauffen, solche von einer grausamen Sklaverei erretten, und hingegen in denen Insuln, wohin sie gebracht werden, nicht allein in eine gelindere Dienstbarkeit versetzen, sondern auch zur Erkenntnis des wahren Gottes, auf den Weg zur Seligkeit durch die Unterrichtungen, welche ihnen christliche Prediger geben, bringen, ohne welche Absicht ihnen dergleichen Handel schwerlich zugelassen würde."

Das ist englischer Cant in deutscher Sprache; das ist trotz dieser deutschen Sprache echt englische politische "Moral". So wird durch alle Jahrhunderte alles, was der englischen Politik zum Besten dienen soll, so blutig, räuberisch, schmutzig und niederträchtig es sei, für den
Jonathan Swift
Jonathan Swift
[Probert Encyclopaedia]
Durchschnittsengländer umgelogen in Tugendseligkeit, Menschheitsbeglückung, Gottgefälligkeit und Strahlenreinheit. Aber prüfen wir Englands politische Moral im Lichte seiner erleuchtetsten Geister, so sehen die Dinge anders aus; so etwa, wie der bittere Jonathan Swift, der leidenschaftliche Kämpfer gegen die Vernichtung Irlands durch das räuberische England, in seinem Gulliver sie schildert, wo er den naiven Gastfreunden Gullivers seine, Swifts, Ansichten über Englands Staat, Verfassung und politische Moral in den Mund legt: "Aufs klarste hast du uns bewiesen, Brite, daß Unwissenheit, Trägheit und Laster die Eigenschaften sind, die bei euch einen Mann zum Gesetzgeber fähig machen, und daß am besten die Gesetze erklärt und angewendet werden von jenen, die sie verdrehen, verwirren und entkräften. In eurer Staatsverfassung finde ich einige Züge, die ursprünglich ganz leidlich sein möchten. Aber diese sind großenteils erloschen, und das übrige ist nichts als ein häßliches Gewebe von Verderbnissen und Mißbräuchen. Aus allem, was du gesagt hast, ergibt sich, daß man bei euch keiner Vollkommenheit irgendeiner Art bedarf, um zu irgendeiner Stellung zu gelangen, geschweige, daß jemand wegen seiner Tugend geadelt, Soldaten wegen ihrer Tapferkeit oder Klugheit, Richter wegen ihrer Rechtschaffenheit, Senatoren wegen ihrer Vaterlandsliebe, Staatsminister wegen ihrer Weisheit befördert würden. Nach allem ist der unerbittliche Schluß zu ziehen, daß der große Haufe deiner Landsleute die verderblichste Brut von kleinem garstigen Ungeziefer ist, das die Natur je auf Erden herumkriechen ließ..."

Was die Schaffung des britischen Weltreichs unter dem Gesichtspunkt sittlicher Wertung betrifft, so spricht der Engländer Victor Wallace Germains in seinem Buch Die Wahrheit über Kitchener von dem welterobernden Engländer, der "grausam und schrecklich im Krieg, fürchterlich in seinen Leidenschaften, anmaßend, roh und tapfer zugleich, seine Hand erhebt, um Reiche und Erdteile zu erobern, der die Bibel und das Bajonett von einem Ende der Welt zum anderen trägt, die Heiden bekehrt und ausrottet, die Meere mit seinen Schiffen bedeckt, die Erde nach Handelsschätzen und Rohstoffen durchwühlt, die Weltkugel mit Vorposten und Handelsstationen einkreist und so ein Weltreich errichtet, ohne Ziel und Plan und bewußte Anstrengung."



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