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[94]
Erstes Kapitel   (Forts.)
Entwicklung der Deutsch-Polnischen Beziehungen

B. Deutschlands Bemühen
um eine Verständigung mit Polen, 1933 bis 1939

V. Verhandlungen
über eine Deutsch-Polnische Minderheitenerklärung
(Januar bis November 1937)
  (Forts.)

Nr. 89
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm

Warschau, den 6. Juni 1937

Außenminister Beck, der heute mit Staatspräsidenten nach Bukarest fährt, bat mich gestern abend zu sich und erklärte folgendes:

Er wolle Warschau nicht verlassen, ohne eine Antwort auf unsere Demarche in Minderheitenfrage zu geben. Seine Regierung, der er eingehend über unsere Auffassung berichtet habe, sei bereit, mit uns die Frage einer Erklärung über den Schutz der Minderheiten zu prüfen. Regierung habe sich hierzu entschlossen, weil sie Wert darauf lege, gegenüber einer vom Reichskanzler persönlich angeordneten Demarche Entgegenkommen zu zeigen und keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Politik aufkommen zu lassen. Sachlich seien die seinerzeit dargelegten Bedenken auch heute noch vorhanden.

Er werde alsbald nach seiner Rückkehr aus Bukarest auf die Angelegenheit zurückkommen und würde sich freuen, wenn es gelänge, eine den beiderseitigen Interessen rechnungtragende Formulierung zu finden. Für heute habe ihm nur daran gelegen, uns unverzüglich über grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft zu verständigen.

Auf meine Frage erklärte Herr Beck, daß zweiseitiger Vertrag nach wie vor abgelehnt werde und daß nur eine Erklärung gemäß unserem neuen Vorschlag in Frage komme. Aus seiner erneuten, wenn auch weniger kategorischen Ablehnung von Sachverständigenverhandlungen schließe ich, daß zunächst nicht an eine Erklärung mit wesentlich materiellem Inhalt gedacht ist. Es wird daher zweckmäßig sein, gleich in der ersten Besprechung eine unseren Wünschen entsprechende Formulierung vorzulegen.

Moltke




Nr. 90
Der Reichsminister des Auswärtigen
an den Deutschen Botschafter in Warschau

Telegramm
Berlin, den 18. Juni 1937

Bitte Sie, Polnischem Außenminister mit Bezugnahme auf Gespräch vom 5. 6. umgehend Minderheitenerklärung des mit heutigem Luftkurier übersandten Wortlauts als deutschen Vorschlag zu übergeben55 und im Verlaufe Besprechungen über Erklärung ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß künftig Anwendung Agrarreformgesetzes und Grenzzonenverordnung56 zu Entdeutschungszwecken nach Ansicht Deutscher Regierung mit Erklärung nicht vereinbar sei.

Bitte ferner regelmäßig wiederkehrende Aussprachen zwischen Vertretern beider Staaten über Minderheitenfragen anzuregen.

Neurath



[95]
Nr. 91
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 24. Juni 1937

Da Herr Beck mehrere Tage verreist war, habe ich ihm unseren Wortlaut der Minderheitenerklärung erst heute übergeben können. Vorbehaltlich näherer Prüfung äußerte er sich zustimmend zu der Einleitung. Hinsichtlich des materiellen Inhalts verwies er auf die Schwierigkeiten, die hier wegen jüdischer Minderheiten entstehen könnten, enthielt sich im übrigen aber jeder Stellungnahme. Er erklärte, daß er die zuständigen Ressorts zu beschleunigter Prüfung veranlassen und jede unnötige Verzögerung vermeiden wolle.

Moltke




Nr. 92
Aufzeichnung eines Beamten der Politischen Abteilung
des Auswärtigen Amts
Berlin, den 24. Juni 1937

Der Herr Reichsminister hat heute den Polnischen Botschafter zu sich gebeten, um mit ihm über den Stand der Regierungsverhandlungen wegen des Genfer Abkommens zu sprechen, deren Verlauf uns nicht befriedigt.57 Er hat Herrn Lipski vorgehalten, daß wir vor allem nicht mit den engherzigen polnischen Vorschlägen über die künftige Regelung des Grenzverkehrs einverstanden seien und daß wir insbesondere eine Befristung dieser Regelung lediglich bis zum 31. Dezember 1937 als völlig unzureichend ablehnen müßten. Wir müßten vielmehr verlangen, daß die neue Regelung auf einen längeren Zeitraum erstreckt werde, und wir könnten die von polnischer Seite hierfür angegebenen Hindernisgründe keineswegs anerkennen.

Der Herr Reichsminister hat den Polnischen Botschafter auch darauf hingewiesen, daß wir den rigorosen polnischen Standpunkt hinsichtlich der Ausweisung der Optanten nicht akzeptieren könnten. Diese Aktion, durch die erneut Tausende von Deutschen aus ihrer Heimat vertrieben würden, sei für die deutsch-polnischen Beziehungen durchaus abträglich.58

von Lieres



[96]
Nr. 93
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 16. Juli 1937

Halbamtlich wird bekanntgegeben, daß folgende vier Gesetzentwürfe der außerordentlichen Parlamentstagung zur Beschlußfassung vorgelegt werden sollen:

    1. ein Gesetzentwurf über die Erweiterung der Bestimmungen über die Amtssprache der Richter, Staatsanwälte und Notare auf das Gebiet des Bezirksgerichts Kattowitz,

    2. ein Gesetzentwurf über die Aufhebung der Fideikommisse des Fürsten Pleß, also um ein Gesetz, das die Unveräußerbarkeit und Unteilbarkeit des fürstlichen Stammgutes aufhebt,

    3. ein Gesetzentwurf über die Erweiterung der Vorschriften über die Durchführung der Agrarreform auf den oberschlesischen Teil der Woiwodschaft Schlesien,

    4. ein Gesetzentwurf über die Erweiterung der Verordnung des Staatspräsidenten über die Entgegennahme von Grundstücken als Entgelt für bestimmte geldliche Verpflichtungen auf Ostoberschlesien.

Wie der der Regierung nahestehende Expreß Poranny bemerkt, wird die Annahme der Gesetze die Parzellierung des deutschen Grundbesitzes in Polnisch-Oberschlesien zur Folge haben. Daß die Gesetze in erster Linie den Zweck verfolgen, den ausgedehnten Waldbesitz des Fürsten Pleß zu enteignen, dürfte außer Zweifel stehen. Das wird bedauerlicherweise zur Folge haben, daß wiederum eine große Anzahl deutscher Volksangehöriger um ihre Existenz gebracht werden wird. Es eröffnet keine günstigen Aussichten für die Zukunft, wenn einen Tag nach dem 15. Juli - dem Ablauf des Genfer Abkommens - und obwohl wir noch mitten in Verhandlungen mit der Polnischen Regierung über die Minderheitenerklärung sowie über die für die Agrarreform wichtige Frage der "wohlerworbenen Rechte" stehen, derartige gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, von denen die zu 2 bis 4 genannten die Interessen der deutschen Minderheit aufs schwerste verletzen.

von Moltke




Nr. 94
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 30. Juli 1937

Außenminister Beck bat mich heute zu sich, um die Besprechungen über die Minderheitenerklärung weiter fortzuführen. Er drückte zunächst sein Bedauern darüber aus, daß die Angelegenheit sich so stark verzögert hätte. Der Besuch des Königs von Rumänien sowie die schwierigen Verhandlungen über den Wawel-Konflikt hätten ihm keine Zeit gelassen, sich mit der Frage der Minderheitenerklärung zu befassen. Schließlich hätten in den letzten Tagen auch die Sejmsitzungen über die mit dem Ablauf der Genfer Konvention zu- [97] sammenhängenden Gesetze seine Zeit voll in Anspruch genommen. Herr Beck unterließ nicht, bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß er große Mühe gehabt habe, die in Rede stehenden Gesetze, insbesondere das Gesetz über die Agrarreform und die Gerichtssprache, gegen den starken Widerstand von chauvinistischer Seite durchzubringen. Er freue sich, daß es gelungen sei, die Zulassung der deutschen Sprache vor Gericht für die Minderheit durchzusetzen und die Agrarreform so zu gestalten, daß ihre Durchführung nicht in einem schnelleren Tempo erfolgen werde als in den anderen Provinzen.

Herr Beck übergab mir darauf den von ihm abgeänderten Entwurf für die Minderheitenerklärung. Wir sind in eine nähere Prüfung des Textes nicht eingetreten, sondern haben eine weitere Besprechung für die nächste Woche verabredet.

Ich habe dann die Gelegenheit benutzt, um in Erwiderung auf die optimistischen Ausführungen des Ministers über die neuen polnischen Gesetze darzulegen, daß diese Gesetze sowie überhaupt alles, was sich hier im Zusammenhang mit dem 15. Juli59 abgespielt hat, uns keineswegs befriedigt, sondern vielmehr sehr enttäuscht hätten. Insbesondere gelte das für das Gesetz über die Agrarreform, dessen übereilte Einführung den Eindruck hervorrufen müsse, als sei beabsichtigt, in einer Frage, die zwischen uns noch offen sei und in der wir u. a. auch bereits die Möglichkeit einer schiedsgerichtlichen Entscheidung in Anregung gebracht hätten, ein fait accompli zu schaffen. Auch das Gesetz über die Liquidierung der Pleßangelegenheit sei keine Lösung in unserem Sinne, denn wenn es auch vielleicht jetzt einen Ausweg aus der verfahrenen Situation biete, so sei doch aus der sehr langen Vorgeschichte, wie insbesondere auch aus der seinerzeit von uns angestrebten und später nur aus Rücksicht auf die Verständigungspolitik zurückgezogenen Klage vor der Haager Cour bekannt, welches unsere Auffassung über diese Angelegenheit sei. Was das Sprachengesetz anbetreffe, so wolle ich zwar die guten Absichten des Ministers nicht in Zweifel ziehen, müsse aber darauf hinweisen, daß die Zulassung der deutschen Sprache im Gerichtsverkehr doch nur einen sehr bescheidenen Vorteil darstelle, nachdem im ganzen sonstigen Verkehr mit den Behörden die deutsche Sprache ausdrücklich untersagt worden sei. Als ein besonders schwerer Schlag gegen das Deutschtum in Ost-Oberschlesien werde aber das vom schlesischen Sejm angenommene Gesetz über die Organisation der evangelischen Kirche60 von uns empfunden, zumal auch der Erlaß dieses Gesetzes ein fait accompli schaffe in einer Frage, die wir gemäß Ziffer 4 unseres Erklärungsentwurfes zu einem Programmpunkte unserer Aussprache gemacht hätten. Die überschnelle Verabschiedung dieses Gesetzes unmittelbar nach Ablauf der Genfer Konvention und ohne vorherige Fühlungnahme mit den betroffenen kirchlichen Kreisen habe uns um so mehr befremdet, als nach verschiedenen Äußerungen maßgebender Persönlichkeiten hätte angenommen werden können, daß der Ablauf der Konvention nicht eine Intensivierung des Volkstumskampfes und eine tatsächliche Schlechterstellung der deutschen Volksgruppe in Ost-Oberschlesien zur Folge haben werde. Er, Herr Beck, selbst habe im [98] Laufe der letzten Verhandlungen mir gegenüber darauf hingewiesen, daß die verhaßte, als Beeinträchtigung der Souveränität empfundene Genfer Konvention in erster Linie schuld daran sei, wenn die untergeordneten Behörden in Oberschlesien sich nicht in die von der Zentrale gewünschte Minderheitenpolitik hineinfinden könnten, und daß alles besser werden würde, wenn erst die völlig autonome Handhabung dieser Fragen auf Grund der polnischen Verfassung hergestellt sein werde. Wir hätten aber schon aus den anläßlich des 15. Juli erschienenen Artikeln der Regierungspresse, die unisono einen Triumphgesang über die trotz Genfer Konvention und trotz internationaler Behörden erzielten Erfolge der Entdeutschungspolitik angestimmt hätten, sehr enttäuschende Eindrücke erhalten und das Bukett minderheitenfeindlicher Gesetze, das uns unmittelbar nach dem 15. Juli serviert worden sei, habe das Gefühl ernster Sorge hinsichtlich der weiteren Gestaltung der polnischen Minderheitenpolitik nur noch verstärkt.

Ich habe im weiteren Verlauf der Unterredung ausführlich darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zu den Verhältnissen in Deutschland die wirtschaftliche Lage der Minderheit sich immer katastrophaler gestaltet habe dadurch, daß der Minderheit auf allen Gebieten, sei es in der Landwirtschaft oder Industrie, sei es im Handwerk oder in den freien Berufen, planmäßig jede Existenzbasis entzogen würde, wofür die erschreckende Statistik über die Arbeitslosigkeit innerhalb der Minderheit ein deutlicher Beweis sei. Ich habe Herrn Beck, der diese Tatsachen zu bestreiten versuchte, dringend nahegelegt, sich einmal über diese Verhältnisse orientieren zu lassen und dafür zu sorgen, daß der mit der Erklärung vom 26. Januar 1934 nicht zu vereinbarende minderheitenfeindliche Geist, wie er aus dem Konitzer Prozeß61 und besonders deutlich auch aus den letzten Sejmdebatten zu erkennen sei, endlich einmal beseitigt werde. Ich wolle nur hoffen, daß die den Gegenstand unserer Erörterungen bildende Minderheitenerklärung eine Wendung der Politik herbeiführen werde, und müsse weisungsgemäß darauf hinweisen, daß z. B. künftig die Anwendung der Agrarreformgesetze und der Grenzzonenverordnung zu Entdeutschungszwecken nach Ansicht der Deutschen Regierung mit der Minderheitenerklärung nicht mehr vereinbar sei.

Herr Beck kam dann auf die verschiedenen, von uns als diskriminierend angesehenen oberschlesischen Gesetze zu sprechen. Er bemerkte, diese Gesetze hätten früher oder später doch erlassen werden müssen, und er hätte es für besser gehalten, ihre Verabschiedung nicht hinauszuzögern, weil es nur so möglich gewesen sei, den sehr viel weitergehenden Forderungen der Chauvinisten entgegenzutreten. Wenn jetzt erst einmal Ruhe eingetreten sein werde, so würde es leichter sein, hinsichtlich einer vernünftigen Gestaltung der Minderheitenpolitik einen Druck auszuüben. Er hoffe im übrigen auch seinerseits, daß die beabsichtigte Minderheitenerklärung eine gute Wirkung ausüben würde. Er sehe in dieser Erklärung einen bedeutsamen Akt, der eine gute Basis für [99] eine vernünftige Minderheitenpolitik abgeben könne. Voraussetzung sei allerdings, daß beide Regierungen sich bemühten, den in den Erklärungen bekundeten guten Willen auch in die Tat umzusetzen. Er werde seinerseits dafür sorgen, daß das hier geschehe, und das gleiche gelte auch von dem Ministerpräsidenten und den übrigen in Frage kommenden Ressortministern, mit denen er die Erklärung eingehend besprochen habe.

von Moltke




Nr. 95
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 26. August 1937

In heutiger Unterredung über Minderheitencommuniqué hat Außenminister unsere Formulierung angenommen.

Herr Beck unterstrich erneut die politische und praktische Bedeutung der Vereinbarung, von der zu hoffen sei, daß sie eine Entspannung auf dem Gebiet der Minderheitenfrage herbeiführen werde. Die Polnische Regierung sei gewillt, "de faire un effort sérieux". Er lege deshalb auch großen Wert darauf, daß die Veröffentlichung erst erfolge, wenn der Ministerpräsident, der gleichzeitig Innenminister ist, wieder im Lande sei, wodurch die Kundgebung für polnische Öffentlichkeit ein größeres Gewicht erhalten würde. Im übrigen habe er den Ministerpräsidenten, der voraussichtlich übermorgen zurückkommen werde, bereits orientiert und sein generelles Einverständnis erhalten, so daß irgendwelche Abänderungswünsche von seiner Seite nicht mehr zu erwarten seien.

Ich habe Herrn Beck gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß seine Auffassung über die Bedeutung des Communiqués von uns geteilt werde. Im Laufe der weiteren Unterhaltung habe ich erneut darauf hingewiesen, daß künftige Anwendung Grenzzonenverordnung oder der Agrarreform zu Entdeutschungszwecken mit Communiqué nicht vereinbar sei.

Bezüglich des Zeitpunkts der Veröffentlichung ist einstweilen der Mittwoch nächster Woche in Aussicht genommen.

Moltke




Nr. 96
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 28. August 1937

Am Montag, dem 30. August, wird der schlesische Sejm als Dringlichkeitsantrag den Entwurf für das neue Gesetz über die Privatschulen und privaten Unterrichts- und Erziehungsanstalten behandeln und sehr wahrscheinlich am gleichen Tage in dritter Lesung verabschieden. Dieser neue Gesetzentwurf hat für das Privatschulwesen der deutschen Volksgruppe in Ost-Oberschlesien tiefgreifende Bedeutung.

[100] Es muß außerordentlich befremden, daß der neue Gesetzentwurf, der dem schlesischen Sejm vorliegt, Änderungen des Staatsgesetzes vom 11. März 1932 vorsieht, die in ihrer Auswirkung zu schweren Beeinträchtigungen der kulturellen Interessen der deutschen Bevölkerung Ost-Oberschlesiens führen können und - wie nach den bisherigen Erfahrungen anzunehmen ist - auch führen werden. Die deutsche Bevölkerung wird durch diesen Gesetzentwurf mit neuen, ernstesten Sorgen um ihr Schicksal erfüllt.

Nöldeke




Nr. 97
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Botschafter in Warschau
Telegramm
Berlin, den 1. September 1937

Bitte Außenminister Beck durch Kabinettschef mitteilen, daß zuständige deutsche Stellen zur Zeit noch mit Prüfung oberschlesischen Gesetzes über Privatschulwesen befaßt, das in eine von Minderheitenerklärung behandelte wichtige Materie eingreife. Da Prüfung noch nicht abgeschlossen, müsse Mitteilung über Zeitpunkt Veröffentlichung der Minderheitenerklärung vorbehalten bleiben.

Bismarck




Nr. 98
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 7. September 1937

Ich habe heute eine eingehende Unterredung mit dem Außenminister gehabt, in der ich nachdrücklichst darauf hinwies, daß oberschlesisches Schulgesetz in völligem Widerspruch zu Wortlaut und Sinn der von uns vorbereiteten Minderheitenerklärung steht. Unsere Wünsche habe ich gemäß dortiger Weisung formuliert.

Er erkläre, daß er nur in der Lage sei, die grundsätzliche Einstellung der Polnischen Regierung zu gesamtem, durch das Schulgesetz aufgeworfenem Problem darzulegen. Das Gesetz solle selbstverständlich nicht bisherige Situation der Minderheit verschlechtern; die Tatsache, daß trotz des neuen Gesetzes das Schuljahr am 1. September begonnen habe, ohne in der Praxis irgendeine Einschränkung zu bringen, könne als Beweis für diese Tendenz angesehen werden. Auf Grund alarmierender Meldungen der deutschen Presse habe er sofort die Aufmerksamkeit des Ministerpräsidenten auf die Angelegenheit gelenkt, und dieser habe unverzüglich an die lokalen Behörden die Weisungen ergehen lassen, die notwendig waren, um die Durchführung des Gesetzes mit dem Sinne der Minderheitenerklärung in Einklang zu bringen. Auch der Ministerpräsident wünsche, ebenso wie er selbst, daß die unsere Beziehungen belastende Minderheitenfrage endlich einmal bereinigt werde.

[101] Bei dieser Sachlage habe ich es im Hinblick auf die morgen bevorstehende Abreise Außenministers nach Genf für richtig gehalten, mit Rücksicht auf die für die Zukunft doch immerhin recht wertvollen Zusicherungen des Ministers der Veröffentlichung der Minderheitenerklärung nunmehr zustimmen zu sollen. Da Beck Wert darauf legte, im Zeitpunkt der Veröffentlichung in Warschau anwesend zu sein, mußte aber Festsetzung genaueren Datums zunächst offenbleiben.

Moltke




Nr. 99
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 7. September 1937

Ich habe nach meiner heutigen Rückkehr nach Warschau sofort eine längere Unterredung mit Herrn Beck gehabt, über deren Verlauf ich telegraphisch berichtet habe.62 Ich habe den Eindruck, daß Herr Beck über das von dem Woiwoden vorbereitete Schulgesetz nicht vorher orientiert war und daß im übrigen durch das Eingreifen des Ministerpräsidenten jetzt die erforderlichen Kautelen geschaffen sind, um das Gesetz mit dem Sinn der vereinbarten Minderheitenerklärung in Einklang zu bringen. Anscheinend handelt es sich um einen Sabotageversuch des Woiwoden Grażyński, der - wie wir bereits aus verschiedenen Anzeichen beobachten konnten und wie mir auch von sehr gut orientierter Seite bestätigt wird - alle Hebel in Bewegung setzt, um das Zustandekommen irgendwelcher Vereinbarungen über Minderheitenschutz zu verhindern, weil er befürchtet, in seiner radikalen Entdeutschungspolitik gestört zu werden.

von Moltke




Nr. 100
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 6. Oktober 1937

Herr Beck, der mich heute in Sachen der Minderheitserklärung empfing, betonte zunächst erneut den ernsthaften Willen der Polnischen Regierung, das Communiqué zum Ausgangspunkt einer Aktion zu machen, die nicht nur atmosphärisch, sondern auch sachlich eine Besserung der Lage herbeiführt. Diesem Zwecke solle auch ein Empfang der Minderheitsführer durch den Staatspräsidenten dienen, wobei erwartet werde, daß entsprechende Geste auch in Berlin erfolge.

Moltke



[102]
Nr. 101
Übereinstimmende Erklärung der Deutschen und der Polnischen Regierung über den Schutz der beiderseitigen Minderheiten,
veröffentlicht am 5. November 1937

Die Deutsche Regierung und die Polnische Regierung haben Anlaß genommen, die Lage der deutschen Minderheit in Polen und der polnischen Minderheit in Deutschland zum Gegenstand einer freundschaftlichen Aussprache zu machen. Sie sind übereinstimmend der Überzeugung, daß die Behandlung dieser Minderheiten für die weitere Entwicklung der freundnachbarlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen von großer Bedeutung ist und daß in jedem der beiden Länder das Wohlergehen der Minderheit um so sicherer gewährleistet werden kann, wenn die Gewißheit besteht, daß in dem anderen Land nach den gleichen Grundsätzen verfahren wird. Zu ihrer Genugtuung haben die beiden Regierungen deshalb feststellen können, daß jeder der beiden Staaten im Rahmen seiner Souveränität für die Behandlung der genannten Minderheiten nachstehende Grundsätze als maßgebend ansieht:

    1. Die gegenseitige Achtung deutschen und polnischen Volkstums verbietet von selbst jeden Versuch, die Minderheit zwangsweise zu assimilieren, die Zugehörigkeit zur Minderheit in Frage zu stellen oder das Bekenntnis der Zugehörigkeit zur Minderheit zu behindern. Insbesondere wird auf die jugendlichen Angehörigen der Minderheit keinerlei Druck ausgeübt werden, um sie ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit zu entfremden.

    2. Die Angehörigen der Minderheit haben das Recht auf freien Gebrauch ihrer Sprache in Wort und Schrift sowohl in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen wie in der Presse und in öffentlichen Versammlungen.
          Den Angehörigen der Minderheit werden aus der Pflege ihrer Muttersprache und der Bräuche ihres Volkstums sowohl im öffentlichen wie im privaten Leben keine Nachteile erwachsen.

    3. Das Recht der Angehörigen der Minderheit, sich zu Vereinigungen, auch zu solchen kultureller und wirtschaftlicher Art, zusammenzuschließen, wird gewährleistet.

    4. Die Minderheit darf Schulen in ihrer Muttersprache erhalten und errichten.
          Auf kirchlichem Gebiet wird den Angehörigen der Minderheit die Pflege ihres religiösen Lebens in ihrer Muttersprache und die kirchliche Organisierung gewährt. In die bestehenden Beziehungen auf dem Gebiet des Bekenntnisses und der caritativen Betätigung wird nicht eingegriffen werden.

    5. Die Angehörigen der Minderheit dürfen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit in der Wahl oder bei der Ausübung eines Berufes oder einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht behindert oder benachteiligt werden. Sie genießen auf wirtschaftlichem Gebiet die gleichen Rechte wie die Angehörigen des Staatsvolkes, insbesondere hinsichtlich des Besitzes oder Erwerbs von Grundstücken.

Die vorstehenden Grundsätze sollen in keiner Weise die Pflicht der Angehörigen der Minderheit zur uneingeschränkten Loyalität gegenüber dem Staat,*** dem sie angehören, berühren. Sie sind in dem Bestreben festgesetzt worden, der Minderheit gerechte Daseinsverhältnisse und ein harmonisches Zusammenleben mit dem Staatsvolk zu gewährleisten, was zur fortschreitenden Festigung des freundnachbarlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen beitragen wird.



[103]
Nr. 102
Erklärung des Führers
beim Empfang der Polnischen Volksgruppenvertreter,
5. November 1937

Die übereinstimmende deutsch-polnische Erklärung über den Schutz der beiderseitigen fremden Volksgruppen, die heute von beiden Ländern veröffentlicht wird, soll die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Völkern verbessern und festigen. Die praktische Ausführung der in dieser Erklärung enthaltenen Richtlinien kann wesentlich zur Erreichung dieses Zieles beitragen.

Das Bestreben der Reichsregierung geht dahin, das Zusammenleben der polnischen Volksgruppe mit dem deutschen Staatsvolke harmonisch und innerlich friedlich zu gestalten.

Ich stelle fest, daß der Wille der Reichsregierung, jedem Reichsbürger Brot und Arbeit zu verschaffen, auch gegenüber den Angehörigen der polnischen Volksgruppe besteht und durchgeführt ist. In der Zeit großer Arbeitslosigkeit und großer Entbehrungen, denen Angehörige der deutschen Volksgruppen in Europa noch vielfach ausgesetzt sind, nimmt die polnische Volksgruppe an dem wirtschaftlichen Aufstieg des Reiches in vollem Umfange teil. Gleiche Fortschritte sind in der kulturellen Betätigung der polnischen Volksgruppe gemacht worden, wie ihre vielseitigen organisatorischen Einrichtungen und neuerdings die Errichtung einer weiteren höheren polnischen Schule in Deutschland beweisen. Die Polen in Deutschland müssen aber stets dessen eingedenk sein, daß der Gewährung von Schutzrechten die loyale Erfüllung der dem Staate zu leistenden Pflichten und der Gehorsam gegen die Gesetze gleichwertig gegenübertreten.

Der Schutz der deutschen Volksgruppe in Polen, vor allem in ihrem Recht auf Arbeit und Verbleib auf ihrer angestammten Scholle, wird auch zur Sicherung der polnischen Volksgruppe in Deutschland beitragen.

Das hohe Ziel des Paktes, den ich seinerzeit mit dem großen Polnischen Staatschef Marschall Josef Pilsudski geschlossen habe, wird durch diese gemeinsame deutsch-polnische Erklärung zur Minderheitenfrage seiner Verwirklichung nähergerückt.63




Nr. 103
Erklärung des Polnischen Staatspräsidenten
beim Empfang der Deutschen Volksgruppenvertreter,
5. November 1937
(Übersetzung)

Aus Anlaß der heute veröffentlichten Erklärung der Polnischen Regierung über die Behandlung der deutschen Minderheit in Polen empfing der Polnische Staatspräsident als Vertreter der deutschen Minderheit die Senatoren Hasbach und Wiesner und Herrn Kohnert.

[104] Der Staatspräsident hat seine Befriedigung über die in beiden Ländern veröffentlichten Erklärungen, die im Sinne der deutsch-polnischen Verständigung vom 26. Januar 1934 abgefaßt sind, ausgedrückt und hat versichert, daß die deutsche Minderheit in Polen bei einer loyalen Einstellung zum polnischen Staat und dessen Verfassung auch weiterhin auf eine freundliche Betrachtung ihrer Interessen seitens der Polnischen Regierung rechnen könne.




Nr. 104
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen
mit dem Polnischen Botschafter

Aufzeichnung
Berlin, den 5. November 1937

Ich habe heute dem Polnischen Botschafter ein Aide-Mémoire übergeben, in dem eine Reihe von Erwartungen über die zukünftige Behandlung der deutschen Minderheiten in Polen ausgesprochen sind, die wir bei den gegenseitigen Erklärungen besonders im Auge hätten. Der Botschafter nahm diese Zusammenstellung an, ohne Bemerkungen dazu zu machen, und wird sie seiner Regierung zustellen.

Frhr. von Neurath


Anlage

Aide-Mémoire

Berlin, den 5. November 1937

Die Deutsche Regierung spricht anläßlich der Veröffentlichung der deutsch-polnischen Minderheitenerklärung die Erwartung aus, daß alsbald Maßnahmen getroffen werden, um die deutsche Volksgruppe in Polen vor jeder unterschiedlichen Behandlung gegenüber dem Staatsvolk zu sichern, insbesondere bei der Anwendung des Agrarreformgesetzes und der Grenzzonenverordnung sowie auf wirtschaftlichem und beruflichem Gebiet, vor allem bei der Einstellung und Entlassung deutschstämmiger Arbeiter.

Im Hinblick auf die Maßnahmen, die in der Woiwodschaft Schlesien während der Verhandlungen über die Minderheitenerklärung getroffen worden sind, legt die Deutsche Regierung besonderen Wert darauf, daß die Lage der deutschen Minderheit auf dem Gebiete des Schul- und Kirchenwesens keine Verschlechterung erfährt.

Die Deutsche Regierung hält es weiterhin zur Erreichung der mit der Minderheitenerklärung verfolgten Ziele für unerläßlich, daß auf die Faktoren der öffentlichen Meinungsbildung, insbesondere auf die Presse und den Westverband, entsprechend eingewirkt wird.

Ferner wird angeregt, regelmäßig wiederkehrende Aussprachen zwischen Vertretern beider Staaten über die in der Minderheitenerklärung behandelten Fragen stattfinden zu lassen.

Die Deutsche Regierung bittet schließlich zu erwägen, die in den letzten Jahren gegen Angehörige der deutschen Volksgruppe in Polen durchgeführten Strafverfahren politischen Charakters in großzügiger Weise durch die Gewährung von Begnadigungen oder Strafaussetzungen zu liquidieren.




55Der Wortlaut stellt einen Vorentwurf der unter Nr. 101 abgedruckten Erklärung dar. ...zurück...

56Vgl. Nr. 88, S. 93, Anm. [54]. ...zurück...

57Vgl. Nr. 81, Anm. [44]. ...zurück...

58Es ist auch in den weiteren Verhandlungen nicht gelungen, die Ausweisung der Optanten aus Ostoberschlesien zu verhindern. ...zurück...

59Das Datum des Ablaufs des Genfer Abkommens über Oberschlesien. ...zurück...

60Das ohne Fühlungnahme mit der deutschen Kirchenleitung erlassene Gesetz änderte unter Außerachtlassung der bisherigen Grundlagen des kirchlichen Rechts und der Bestimmungen der polnischen Staatsverfassung in scheinbar vorläufiger, in Wahrheit aber endgültiger Form die Verfassung der unierten evangelischen Kirche in der Weise, daß der Woiwode als Vertreter des polnischen Staates auf die Bildung und Besetzung der kirchlichen Organe entscheidenden Einfluß erlangte. Das Pfarrwahlrecht wurde den Gemeinden genommen und in die Hand des vom - übrigens katholischen - Woiwoden kontrollierten "Vorläufigen Kirchenrats" gelegt. [Anm. d. Scriptorium: siehe auch Artikel "Die kirchliche Lage in Polen" von Hans Schadewaldt.] ...zurück...

61Der Konitzer Prozeß betraf folgenden Fall: Zwei ältere Damen, denen das Gut Kensau, Kreis Tuchel, gehörte, hatten etwa 20 zum Teil jugendliche Arbeitslose deutschen Volkstums angeworben, um ihren Park abzuholzen und in einen Gemüsegarten umzuwandeln. Die polnischen Behörden waren der Ansicht, daß es sich um ein getarntes Arbeitsdienstlager nach deutschem Muster gehandelt habe und stellten die beiden Gutsbesitzerinnen sowie die Arbeitslosen unter Anklage. Es wurden Gefängnis- und Haftstrafen von insgesamt 15 Jahren 11 Monaten verhängt.
      Die Strafen wurden später im Berufungsverfahren auf insgesamt 12 Jahre 5 Monate herabgesetzt unter Bewilligung einer Bewährungsfrist an die meisten Verurteilten. ...zurück...

62Vgl. Nr. 98. ...zurück...

63Gelegentlich dieses Empfangs machte der Führer davon Mitteilung, daß er die Freilassung einer Anzahl in Haft befindlicher Angehöriger der polnischen Volksgruppe in Deutschland, die in ihrer politischen Betätigung mit den deutschen Gesetzen in Widerspruch geraten waren, angeordnet habe. ...zurück...


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Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges